© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Vom Vater an den Sohn
Taschenmesser: Die Klassiker der klappbaren Klingen
Gil Barkei

Die Sonnenstrahlen treiben auch andere Spaziergänger und Schwimmausflügler hinaus in die Natur. Pause an ein paar rustikalen Bänken am Waldrand. Ein Vater zeigt seinem Sohn, wie er am besten Wurst, Käse und Obst mit einem Taschenmesser schneidet. Die Augen gleiten auf die eigenen Hände, die rechte ziert noch immer die zunehmend verblichene Narbe von den kindlichen Schnitzversuchen an Speeren und Pfeil und Bogen. 

Erinnerungen werden wach an das erste eigene Taschenmesser, ein typisch rotes Schweizer Armeemesser, das tatsächlich in einem kleinen Laden in den eidgenössischen Alpen gekauft wurde. Jahrelang war es treuer und gepflegter Begleiter auf Reisen und Campingurlauben, hat hilfreiche Dienste geleistet in der Stadt wie am Strand. Ein Freund der Familie hat sogar immer eines in seiner Hosentasche dabei, selbst wenn er Anzug trägt – frei nach Bernhard Roetzels Buch „Der Gentlemen“, wonach ein Taschenmesser zu den Standardaccessoires des Herrn gehört.

Heutzutage gibt es zahlreiche neue Trends von minimalistischen Griff-Ausführungen bei gleichzeitig üppigen Klingen-Personalisierungen wie bei Deejo-Messern bis zu quietschbunten Victorinox-Modellen mit USB-Stick. Doch ein paar Klassiker neben dem US-amerikanischen Buck 110 und einem japanischen Higonokami kommen nie aus der Mode.


Opinel

Für viele Franzosen ist das „No. 8“ das Taschenmesser schlechthin, für viele Ausländer ist es ein typisches Stück Frankreich. Das MoMa in New York stellte es als Design-Ikone aus. Mit seinem niedrigen Preis (Nummer acht kostet 10 Euro), seinem berühmten simplen Holzgriff und dem die Klinge arretierenden Metallring ist es in der Landwirtschaft genauso beliebt wie bei Großstädtern. 1890 vom erst 18jährigen Joseph Opinel in der Schmiedewerkstatt seines Vaters in Albiez le Vieux entworfen, entwickelte sich daraus eine Serie mit 12 Größen von „No. 1“ bis „No. 12“ – mittlerweile gibt es eine 13. Gigant-Version. Besonders für die Jüngsten geeignet sind die Kindermesser mit abgerundeter Spitze. Heute gibt es das Messer mit rostfreiem oder mit Kohlenstoffstahl, mit Gravuren, mit Luxushölzern von Oliven- oder Walnußbäumen und in verschiedenen Farben. 


Laguiole 

Ein weiterer Klassiker aus Frankreich sind Laguiole-Messer. Der Name steht nicht für ein Modell oder einen Hersteller, sondern für die charakteristische filigrane längliche Form, die auf traditionelle Bauernmesser aus der Region Aubrac zurückgeht. Landesweit gibt es etwa 130 Laguiole-Produzenten, von denen einige Manufakturen wie Laguiole en Aubrac oder Forge de Laguiole zu den bekanntesten gehören. Letzterer hat die Handwerkskunst wieder direkt in den kleinen Ort Laguiole zurückgebracht. Die Messer sind nicht nur Alltagsbegleiter, sondern handgefertigte individuelle Schmuckstücke und beliebte Geschenke – insbesondere an Jungen als Zeichen zur Aufnahme in die Erwachsenenwelt. Verzierungen und Griffmaterialien kennen kaum (Kombinations-) Grenzen, so daß außergewöhnliche Messer über 3.000 Euro kosten können.


Mercator Katze 

Um die Mercator Katze, ursprünglich 1867 von Heinrich Kaufmann & Söhne in großen Mengen hergestellt, ranken sich Legenden. Die einen behaupten, der Klassiker aus Deutschland kam bereits nach dem Ersten Weltkrieg mit amerikanischen Soldaten in die USA und entwickelte sich aufgrund der flachen Bauweise schnell zu einem versteckt getragenen Lieblingsbegleiter in Mafiakreisen. Andere sagen, das Klappmesser mit dem markanten schwarzen Metallgriff und der eingeprägten goldenen Katze wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg in großer Zahl von GIs in die Vereinigten Staaten mitgebracht. Unter dem Namen „Black Cat Knife“ wurde es dort schnell Kult. Auch im kriminellen Milieu: So soll es in den Sechzigern und Siebzigern zu den meisteingesetzten Waffen in New York gehört haben. Heute wird das Modell von der Solinger Traditionsmarke Otter produziert und kostet 36 Euro. Weitere Mercator-Varianten mit Messing- oder Kupfergriff kosten 15 oder 16 Euro mehr.


Böker Scout

Die 1869 gegründete Böker Messer-Manufaktur aus Solingen gehört zu den bekanntesten Klingenschmieden aus Deutschland und bietet das komplette Sortiment vom Rasier- bis zum Jagdmesser. Neben den Modellen „Trapper“ und „1906“ gehört besonders das 1985 entwickelte „Scout“ zu den beliebtesten Taschenmessern. Dieses gibt es in den Größen „Boy Scout“, „Junior Scout“ und „Scout“ sowie mit Damastklingen und verschiedenen Griffmaterialien wie Olivenholz, Büffelhorn oder sogar Mammutzahn – der Preis kann dann allerdings mehrere hundert Euro erreichen.

Foto: Ein Opinel mit ausgeklappter nicht rostfreier Klinge (l.), ein französisches Laguiole beim Polieren per Hand (o.), ein Vater schnitzt mit seinem Sohn (u.): Von Massenproduktion bis zur ausgefallenen Manufaktur-Produktion sind Exemplare zwischen 10 und mehreren tausend Euro zu haben