© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 34/21 / 20. August 2021

Der Flaneur
Überfall des Sommers
Maria Bentz

Mancher Spaziergang endet auf der Terrasse. Eigentlich sollte es nur ein Schritt vor die Tür werden, zur Prüfung der Witterung. Aber dann: ein Sommer-Überfall. Es summt, duftet, blüht und lockt unwiderstehlich. Verführung pur. Die guten Vorsätze zur Steigerung der täglichen Laufschritte verziehen sich wie die Wolken. Umschmeichelt von einer leichten Brise bestaune ich die langen, frischen Triebe der Kiwi-Pflanze, Eroberungsvorstoß gegen den wilden Wein im Kampf um den Platz an der Pergola, der aber mit gleichen Waffen erfolgreich verteidigt wird. „Die sind aber ins Kraut geschossen!“, mein unvorsichtiger Kommentar zu dem Knirps an meiner Seite. „Au  ja, schießen“, jubelt der Dreikäsehoch-Gast und flitzt davon, seine Wasserpistole zu befüllen.  Nur meine energische Abwehr rettet die stolzen von einer einzigen Pflanze hervorgezauberten Geranienblüten vor einem Pistolen-Angriff durch das Lieblingsspielzeug.

Zwei Buntspechte schauen auf eine Stippvisite an der „Hotelbar“ vorbei.

Die Hortensien biegen sich unter der Pracht ihrer blauen Blütenbälle, Kletterrose und Lavendel duften um die Wette, die Lebensbaumhecke schmückt sich mit hellgrünen Spitzen, im wilden Wein summt es fast ohrenbetäubend. Einträchtig planscht eine fünfköpfige Kohlmeisenbande im Vogelbecken, gerade einmal nicht damit beschäftigt, räuberisch aus den Gartenkissen Fäden zu ziehen. 

Der Rotkehlchenvater fordert sanft, aber nachdrücklich etwas Unterstützung bei der Futtersuche für seine dreiköpfige, laut und vernehmlich tschilpende Kinderschar. Er kennt meine Schwäche für ihn: der – wie es heißt – Lieblingsvogel der Deutschen mit seinem roten Wams und den dunklen Knopfaugen hat längst mein Herz erobert. Auch die beiden Buntspechte schauen auf eine Stippvisite vorbei, haben sie doch im tief verschneiten Winter meine „Hotelbar“ kennen- und liebengelernt.

Und der glänzend schwarze Amselherr stirbt mal wieder mit weit ausgebreiteten Flügeln und geöffnetem Schnabel in Schönheit beim Sonnenbaden. Wehrlos seufzend greife ich nach der Gartenschere. Die Kiwi ist doch wirklich zu frech. Und der Knirps hat Fliegenbrummer zum Ziel seiner Schießübungen erkoren. Das bedarf zeitraubender Übung. Und sind nicht überhaupt Abendspaziergänge viel gesünder?