© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Bundestagswahl
Scholz ist am Zug
Dieter Stein

Wenn die Gerüchte aus dem Adenauerhaus stimmen, dann hat die CDU-Zentrale inzwischen nackte Panik erfaßt. Witzeleien, nach dem Schulz- komme der Scholz-Zug, also der Absturz eines furios gestarteten SPD-Kanzlerkandidaten, sind längst verstummt. Das Gegenteil ist der Fall. Mit einer gekonnt personalisierten Kampagne positioniert sich Finanzminister Olaf Scholz als staatsmännischer Macher, der die Mitte anspricht. Ruhender Pol im Sturm der Zeiten. Daß hinter dieser Fassade eine immer stärker ins Linkssektiererische kippende Partei steht, dringt zum Wähler kaum durch.

Meinungsforscher messen neben den steigenden Sympathiekurven für Scholz unterirdische Werte beim CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Während sich Scholz als idealer Erbe der scheidenden Kanzlerin Merkel in Szene setzt, gelingt es Laschet nicht, aus ihrem Schatten herauszutreten. Laschet habe Merkel, wenn nicht zu einem früheren Amtsverzicht, doch wenigstens im Frühjahr zu einer demonstrativen Kabinettsumbildung zwingen müssen, um einen Wechsel des Profils zu zeigen. Aber Merkels Leidenschaft, Laschet zum Erfolg zu verhelfen, scheint äußerst beschränkt zu sein.  

Erstaunlich wie die Aufholjagd der SPD ist, daß die AfD nicht vom Abwärtstrend der Union profitiert. 

So oder so. Fehlstart reiht sich an Fehlstart. Erst kam die ungeplante Flutkatastrophe mit Bildern eines feixenden Laschet und dann noch das Afghanistan-Desaster dazu, das wiederum weniger der SPD als der Union zu schaden scheint. Ein Wahlkampfauftakt am Wochenende im Berliner Tempodrom löste bei der Union keine Euphorie aus. Im Zentrum des Medieninteresses stand nicht die Rede des Kanzlerkandidaten, sondern der selbstverliebte Daueregotrip des CSU-Vorsitzenden Markus Söder, der seine Redezeit verdoppelte, um genügend Nadelstiche gegen seinen Rivalen Laschet unterbringen zu können. Daß Söders Sympathiewerte in Bayern ebenfalls miserabel sind, scheint übrigens niemanden zu interessieren. Am wenigsten ihn selbst.

Inzwischen liegen Union und SPD nach der jüngsten Insa-Umfrage gleichauf bei 23 Prozent. Demoskopen sehen einen nachhaltigen Aufholtrend der SPD. Welchen Befreiungsschlag soll Laschet noch setzen? Erstaunlich ist, daß er noch nicht einmal ein Team präsentieren will, wie Friedrich Merz jetzt öffentlich anmerkte.

Erstaunlich wie die Aufholjagd der SPD ist übrigens, daß die AfD nicht einmal mit dem Thema Migration vom Abschwung der Union profitiert, sondern wie festgetackert bei elf Prozent liegt. Angesichts von Elitesoldaten, die Kleinkinder aus der Hölle von Kabul retten, werden kaum neue Wähler mit Anti-Asyl-Kampagnen erreicht. In fünf Wochen mag das wieder ganz anders aussehen. Doch dann ist die Wahl vorbei.