© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

„Das ist ein gefährlicher Irrtum“
Immer lauter wird der Ruf, möglichst viele Afghanen aufzunehmen: Der Kriminologe Daniel Zerbin warnt vor den Folgen
Moritz Schwarz

Herr Professor Zerbin, welche Folgen hat es, sollten nun afghanische Flüchtlinge in großer Zahl kommen?

Daniel Zerbin: Ich war als Militärpolizist zweimal im Afghanistaneinsatz und hege große Bewunderung für das Land und seine Menschen. Aber ich fürchte, die meisten Deutschen machen sich nicht klar, wie völlig anders die Kultur dort ist.

Nämlich?  

Zerbin: Afghanistan ist in einer Weise fragmentiert, die uns vollkommen fremd und unverständlich ist: Als Nation – also so wie wir etwa über Deutschland denken – existiert das Land in den Köpfen der meisten Afghanen nicht. Statt dessen zählen Stamm, Ethnie und Religion. Die meisten leben in Dörfern, die ihre eigenen Regeln, ja eigene Rechtsprechung haben. Dort gibt es auch keine Polizei, man muß sein Recht selbst durchsetzen. Ich habe sogar erlebt, daß Dörfer sich im Nachbarschaftsstreit gegenseitig mit Mörsern beschossen haben! Fehden, Rache, all das ist normal. Und die Burka wird dort nicht nur aus religiösen Gründen getragen, sondern auch um die Frauen zu verstecken, weil sie angesichts des Fehlens eines verbindlichen Rechts jederzeit entführt werden können. Nach westlicher Vorstellung ist das reine Anarchie. Es ist aber auch ein Grund, warum die Taliban und die Scharia für viele attraktiv wirken. 

Inwiefern? 

Zerbin: Im Westen sehen wir die Taliban nur als Extremisten und Mordbande, und das sind sie auch. Viele Afghanen aber sehen in ihnen einen Stabilitätsfaktor, was ebenfalls stimmt. Und die Scharia bringt immerhin etwas Rechtseinheitlichkeit, also etwas, das der Westen versprochen, aber nie umfassend geliefert hat und das nun die Taliban bringen. 

Klingt, als hätte Sie das Chaos, das nun in Afghanistan ausgebrochen ist, nicht überrascht.

Zerbin: Ja, denn ich habe den Erfolgsmeldungen der Politiker nie geglaubt. Spätestens seit meinem Einsatz war mir klar, daß das Land weder militärisch zu halten noch demokratisch nach unseren Vorstellungen zu entwickeln ist. 2004/05 war ich in Faizabad Verbindungsoffizier zur afghanischen Polizei, der die deutsche Polizei etwa ein Motorrad für ihren Dienst schenkte. Bald aber fuhr es ein Unbekannter – die afghanischen Kollegen hatten es zu Geld gemacht. Erst waren wir enttäuscht, dann lernten wir: Das ist normal. Korruption ist in Afghanistan so allgegenwärtig wie die Loyalität gegenüber dem Staat abwesend. Ich mache den Afghanen keinen Vorwurf – wenn eine Kultur so ist, muß man notgedrungen mittun. Wir selbst haben es schließlich auch nicht anders gemacht: Eines Tages bat mich der dortige Polizeichef um Hilfe, weil sein Kripochef zusammengeschlagen wurde – vom lokalen Warlord. Denn er hatte gewagt, einen von dessen Leuten zu verhaften. Doch war es uns nicht möglich zu helfen, weil der Warlord von der Politik gebraucht wurde. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich dafür gegenüber dem Polizeichef geschämt habe!     

Wir, der Westen, haben also nach afghanischen Regeln mitgespielt, hierzulande aber wurde uns Bürgern das als „Demokratisierung“ verkauft? 

Zerbin: Zum Teil auf jeden Fall, dabei war klar, daß die Gefahr besteht, daß dadurch alles, was wir dort aufbauen, auf Sand errichtet sein könnte und diese Kulisse einmal kollabieren kann.

War die Bundesregierung so dumm, das selbst nicht zu erkennen, oder so abgefeimt, das schönzulügen?

Zerbin: Schwer zu sagen. Ich glaube, vielen Soldaten und Diplomaten im Einsatz war das klar. Doch ab einer bestimmten Ebene wird nach oben nur noch gemeldet, was man dort hören möchte. Schließlich will man Karriere machen, und dazu sind ungelöste Probleme nicht dienlich. Die Politik wußte also zumindest zum Teil wohl wirklich nicht Bescheid – aber weil sie nicht Bescheid wissen wollte und so die Realität vor ihr verborgen wurde.  

Frau Merkel und Herr Maas erklären sich für unschuldig. Man habe sich lediglich getäuscht. 

Zerbin: Ich maße mir nicht an zu richten, aber Tatsache ist nun mal, daß sie und andere die Verantwortung haben. Daher empört mich ihre Weigerung, diese auch zu tragen. Denn wer die Verantwortung trägt, muß auch Konsequenzen ziehen. Und zur Erinnerung: Etliche unserer Politiker verantworten den Afghanistaneinsatz ja sogar schon seit zehn bis zwanzig Jahren! 

Was droht den Ortskräften, die nicht rauskommen?

Zerbin: Ich glaube nicht, daß es massenweise Vergeltungsmassaker geben wird, dazu haben die Taliban zuviel Interesse an guten Beziehungen zum Ausland.

Sicher sind Sie aber nicht? 

Zerbin: Nein, sicher kann man sich nie sein, und ich sage auch nicht, daß wir bedrohte Afghanen nicht aufnehmen sollen. Aber ich beobachte in den Medien eine ähnliche Tendenz wie 2015, alle unterschiedslos zu bedrohten Flüchtlingen zu erklären. 

Sie meinen, die Gefahr von Massakern wird von den Medien aufgebauscht, um bei uns Stimmung für die Aufnahme von Afghanen zu machen? 

Zerbin: Ich sage nicht, daß keine Gefahr besteht. Aber ich sehe schon, daß die Berichterstattung, wie vor fünf Jahren, von einer Agenda überlagert wird. 

Wer die Bilder der „verzweifelten“ („Spiegel“) Menschenmasse auf dem gestürmten Flughafen Kabul genau betrachtete, sah in der Tat viele Gesichter, die nicht verzweifelt, sondern eher freudig-gespannt wirkten, wie bei einem außergewöhnlichen Ereignis. Einige grinsten gar, einer winkte fröhlich in die Kamera. Und auf der Tonspur der Filmschnipsel ist ebenfalls keine Verzweiflung zu hören, wohl aber vereinzeltes Lachen.

Zerbin: Das ist mir auch aufgefallen, und ich glaube, daß viele auf den Bildern von den Taliban an sich nicht mehr zu befürchten hatten als andere Afghanen, sondern nur versuchten, auf den Zug aufzuspringen, um in den Westen zu kommen. Das ist menschlich verständlich, sollte von den Medien aber auch so abgebildet werden. Hätte sich die Bundesregierung übrigens frühzeitig um die deutschen Ortskräfte gekümmert, hätte man diese nicht nur rechtzeitig retten, sondern auch klären können, wer nicht asylberechtigt ist. In dem Chaos jetzt dagegen wird, fürchte ich, manche Ortskraft, die dringend Hilfe braucht, tragischerweise vergessen, während etliche Nichtanspruchsberechtigte nach Deutschland gelangen. Ebenso hätte man frühzeitig die Ortskräfte in einem Land der Region in Sicherheit bringen können, statt nun hektisch alle hierher zu holen. Abgesehen davon, daß es jetzt erst recht teuer für uns wird, falls die Taliban Lösegeld für die Ortskräfte verlangen. Und schließlich, wenn in Afghanistan die Botschaft ankommt, daß plötzlich bei uns die Tore offen sind, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Leute dort sich in Bewegung setzen – weniger wegen der Taliban, sondern weil wir sie herlocken. Und wie immer werden nicht die wirklich Hilfsbedürftigen kommen, Arme, Schwache, Kranke, Frauen, Kinder, sondern die jungen Mobilen. 

Seitdem Ende Juni vier afghanische Asylbewerber in Wien ein 13jähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet haben und die „Bild“-Zeitung in Erfahrung gebracht hat, daß Afghanen im Jahr 2018, trotz nur 0,3 Prozent Bevölkerungsanteil, sechs Prozent der Tatverdächtigen bei Gruppenvergewaltigungen ausmachen, stellt sich die Frage, womit wir bei weiterer Einwanderung vom Hindukusch rechnen müssen.

Zerbin: Damit, daß nicht nur Menschen kommen, sondern eine Kultur. Es ist auffällig, daß bei einigen Deliktarten wie Gewaltverbrechen oder Sexualstraftaten nichtdeutsche beziehungsweise moslemische Tatverdächtige überproportional vertreten sind. Und das hat etwas mit der Kultur zu tun, die sie mitbringen – das ist der zentrale Punkt! 

Oder liegt es an ihren demographischen Merkmalen – jung und männlich –, an in der Heimat oder auf der Flucht erworbenen Traumata, ihrer niedrigen sozialen Stellung hierzulande oder unserer angeblich mangelnden „Willkommenskultur“?

Zerbin: Soziale als auch biologische Faktoren spielen natürlich auch immer eine Rolle. Allein schon wenn man angesichts einer natürlichen Fünfzig-fünfzig-Verteilung von Frauen und Männern in eine Gesellschaft 1,5 Millionen junge Männer einwandern läßt, reicht es sozusagen natürlich nicht mehr für jeden.

Ist das der Grund, warum Gruppenvergewaltigungen in den letzten Jahren so zugenommen haben? 

Zerbin: Sie irren, die Zahlen bei diesem Delikt waren auch in den vergangenen Jahren schon hoch. 

2017 wurden 380 Gruppenvergewaltigungen angezeigt, 2020 waren es mit 704 fast doppelt so viele. 

Zerbin: Bei Sexual- und Gewaltkriminalität liegt die Quote von Nichtdeutschen pro Berichtsjahr regelmäßig zwischen dreißig und vierzig Prozent, und zwar bei einen Bevölkerungsanteil von circa elf bis zwölf Prozent. Oft stammen die Täter aus islamischen Ländern, etwa aus Afghanistan oder Syrien. Das Problem ist, daß solche Zusammenhänge bisher nicht beachtet wurden. Wer darauf hinwies, lief sogar Gefahr, in eine bestimmte politische Ecke gedrückt und stigmatisiert zu werden. Aber wie meist, wenn man ein Problem unter den Teppich kehrt, staut es sich nur weiter auf. 

Noch mal: Können nicht andere Gründe als die Kultur für den hohen nichtdeutschen beziehungsweise moslemischen Täteranteil verantwortlich sein? 

Zerbin: Wie gesagt spielen verschiedene Ursachen zusammen – daraus Kultur und Religion auszugliedern führt aber in die Irre. Nehmen Sie den Faktor niedrige soziale Stellung: Natürlich hat der durchschnittliche Flüchtling diese erst mal inne, und natürlich kann das mit Blick auf das andere Geschlecht zur Belastung werden. Jeder weiß aber, daß die Lösung dieses Problems mit Gewalt durchzusetzen moralisch verboten ist. Grundsätzlich existiert jedoch bei uns allen eine genetisch verankerte Schattenseite von Gewalt und Sexualität. Und es gibt ganz verschiedene Sexualstrategien, darunter auch negative, etwa Vergewaltigung. Um deren moralisches Verbot zu neutralisieren, bedarf es einer Legitimation. Dazu dienen verschiedene Neutralisierungsstrategien, wie Verneinung des Opfers, Verneinung des Unrechts oder Berufung auf eine höhere Instanz. Ermöglicht eine Religion eine solche Neutralisierung, ist das problematisch – hier etwa der Kurzschluß: Da das Opfer kein Moslem ist, ist die Tat kein Unrecht. 

Moment, der Islam verbietet Vergewaltigung.

Zerbin: Ja, zumindest von Mitgliedern seiner Glaubensgemeinschaft. Zudem braucht eine Frau einen männlichen Zeugen, um einen Vergewaltiger überhaupt erfolgreich anzeigen zu können. Vor allem aber spielt das, was man als „Handicap-Prinzip“ bezeichnet, eine große Rolle: Jeder fundamentale Glaube ist anstrengend, man muß sich viel Mühe geben: beten, fasten, Vorschriften beachten. Es ist psychologisch nachvollziehbar, daß sich so ein gewisses Überlegenheitsgefühl entwickeln kann. Wer all die Mühen auf sich nimmt, muß schließlich dafür einen Bonus genießen, etwa sich für besser als die Ungläubigen zu halten. Das speist bei vielen Moslems ein Überlegenheitsgefühl gegenüber der westlichen Kultur – und so leiten manche etwa daraus das Recht ab, bei deren Frauen zuzugreifen. Das hat auch beim Silvesterereignis 2015 eine maßgebliche Rolle gespielt. Das funktioniert jedoch nicht nur beim Thema Frauen so. Der Islam lehrt allgemein, daß seine Gemeinde die bevorzugte Gottes ist, und dazu paßt es natürlich nicht, sich als Flüchtling hier ganz hinten anstellen zu müssen.

Also ist absehbar, daß Einwanderung aus Afghanistan die Kriminalitätsrate bei Gruppen- und herkömmlicher Vergewaltigung sowie Gewaltverbrechen anfüttert?

Zerbin: Ja, und leider wird das nicht reflektiert, obwohl es Menschen das Leben kostet. Wobei all diese Mechanismen und Verhaltensweisen im Grunde natürlich, Moslems also keine schlechteren Menschen sind. Sie reagieren lediglich auf ihre Kultur. Nur liegt in dieser beziehungsweise in der Rolle, die die Religion in ihr spielt, ein Problem, vor dem wir nicht länger die Augen verschließen dürfen.  

Gibt es in der Kriminologie eine Quote, wie viele weitere Zuwanderer pro Jahr das Schicksal wie vieler zusätzlicher Todes- und Vergewaltigungsopfer bei uns besiegeln? 

Zerbin: Nein, das hat meines Wissens noch keiner ausgerechnet, und das ist, da politisch unkorrekt, auch nicht gewollt. Erinnern Sie sich etwa nur daran, wie mit jenen umgegangen wurde, die 2015 lediglich davor gewarnt haben, daß uns diese Zuwanderung Terroranschläge bringen könnte – obwohl es dann genau so kam. Bis heute gibt es keine wirklich umfassende gesellschaftliche Diskussion darüber, was es tatsächlich bedeutet, wenn wir Migration in großer Zahl aus einer anderen Kultur zulassen. Obwohl die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, daß – nicht immer, aber meistens – je fragmentierter eine Gesellschaft ist, desto mehr nehmen Spannungen und Gewalt zu. Leider leben wir aber in der Vorstellung, es sei selbstverständlich, daß wir eine vergleichsweise so friedliche und funktionierende Gesellschaft haben. Das aber ist ein gefährlicher Irrtum. 






Prof. Dr. Daniel Zerbin, lehrt Kriminalwissenschaften an der Northern Business School in Hamburg. Zuvor war der ehemalige Feldjäger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Polizei der Hansestadt sowie Dozent an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung NRW. 2004/05 und 2006 war er in Afghanistan im Einsatz, unter anderem als Militärpolizist und Verbindungsoffizier in Faizabad. Geboren wurde er 1973 in Gelsenkirchen.

Foto: Eine von zahlreichen Demonstrationen am Wochenende quer durch Europa, hier in Paris, die zur Aufnahme von Afghanen auffordern: „Ich war selbst in Afghanistan im Einsatz und ich fürchte, die meisten Deutschen machen sich nicht klar, wie völlig anders diese Kultur ist“