© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Raus aus der blauen Blase
AfD: Stagnierende Werte und kein zündendes Thema im Wahlkampf/ Kann das Afghanistan-Debakel daran etwas ändern?
Christian Vollradt

Langsam steigen sie wieder, die Zustimmungswerte, und auch das Wählerpotential der AfD nimmt allmählich zu. In den reinen Zahlen schlägt sich dieser Trend noch nicht nieder, in den meisten Umfragen rangiert die Partei derzeit bei elf Prozent, nahezu unverändert zu den Vorwochen. Doch insgesamt heben die Mitarbeiter der Abteilung Strategische Kommunikation der Bundestagsfraktion in ihrer aktuellen Lageanalyse leicht den Daumen. Möglicherweise, so schreiben sie, könnte die Partei acht Wahlkreise direkt holen, vorrangig in Sachsen. Dank möglicher Ausgleichsmandate in einem (noch) größer werdenden Bundestag ist es nicht unwahrscheinlich, daß die nächste AfD-Fraktion wieder annähernd so viele Abgeordnete bekommt wie 2017, auch wenn das Ergebnis damals besser ausfiel.

„Positionen, die sich als mehrheitsfähig darstellen“

Doch Zahlen sind das eine, Stimmung ist das andere. Und mit der steht es innerparteilich nicht zum besten. Das gilt für viele Abgeordnete und Funktionäre genauso wie für „einfache“ Mitglieder. Zu lange fehlte ein wirklich zündendes Thema, monieren viele übereinstimmend, der Wahlkampf laufe allgemein „zu schlapp“. 

Daß es bei einigen Mitbewerbern nicht besser aussieht, sei nur ein schwacher Trost. Nach Corona-Pandemie und Hochwasserkatastrophe offenbare sich im aktuellen Afghanistan-Debakel gerade zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit das Regierungsversagen in der Krise – und dennoch könne die AfD davon ganz offensichtlich nicht in Form von höheren Zustimmungswerten profitieren, gibt ein Parteimitglied frustriert zu Bedenken. Es habe den Anschein, als füttere man nur noch die eigene „blaue Blase“ und dringe zum „normalen“ Wähler nicht mehr durch. Dabei sei doch die Wahlkampagne der AfD genau auf die zugeschnitten, die sich nach Normalität sehnen ... Für die Analytiker der Fraktion steht fest, daß die Ereignisse in Afghanistan, die derzeit die Medienberichterstattung dominieren, durchaus „zu den jüngsten Veränderungen bei der Wählerzustimmung“ beitragen. Daher solle man verstärkt auf das Thema Migration setzen. 

„Anderenfalls wird die AfD nur schwerlich von der aktuellen Schwäche von CDU und Grünen profitieren können.“ Das Mantra insbesondere der Unions-Wahlkämpfer, daß sich angesichts der Lage in Afghanistan „ein 2015 nicht wiederholen darf“ (siehe Seite 5), zielt ja auch auf die Sorge, die AfD könnte von einer erneut hochkochenden Debatte und der Angst vor ungesteuerter Einwanderung profitieren. Die AfD, so empfiehlt es die Lageanalyse, sollte ihre Positionen gezielt „in den Mainstream-Medien“ präsentieren – also nicht nur in den vorrangig von den eigenen Anhängern genutzten sozialen Netzwerken. Zudem sollten vor allem solche Positionen ausgewählt werden, „die sich als mehrheitsfähig darstellen“.

In Anspielung auf das Thema Migration und auf die Posse um eine Aktion des Lebensmittelhändlers Edeka, der Getränkeflaschen mit dem Aufdruck „AfD“ aus dem Regal nahm (siehe Seite 24), kursiert in Parteikreisen bereits das selbstironische Bonmot, der AfD-Wahlkampf lasse sich in drei Worten zusammenfassen: „Ortskraft, Fachkraft, Fruchtsaft“. 

Darüber hinaus wäre die AfD nicht die AfD, wenn die Unzufriedenheit mit dem eigenen Wahlkampf nicht auch eine personelle Dimension hätte. Und so wird – freilich strikt hinter vorgehaltener Hand – ordentlich über die Spitzenkandidatin Alice Weidel hergezogen, die nach Meinung ihrer Kritiker viel zu wenige Wahlkampfauftritte bestreite und sich vorrangig mittels Facebook-Kacheln zu Wort melde, während der Terminkalender ihres Teampartners Tino Chrupalla aus allen Nähten platze.  

Foto: Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla beim Wahlkampfauftakt: „Ortskraft, Fachkraft, Fruchtsaft“