© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

„Maßgeblicher Einfluß auf die Taten“
NSU-Prozeß: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil gegen Beate Zschäpe / Die Verurteilte war Komplizin, nicht nur Helferin
Dirk Pelster

Eine Entscheidung war von Deutschlands obersten Strafrichtern bereits seit längerem angekündigt worden, nun wurden die Rechtsmittel der Angeklagten im NSU-Prozeß verworfen (JF 30/18). Die Zurückweisung der eingelegten Revision erfolgte dabei noch nicht einmal im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung, sondern wurde im Beschlußwege durch den Bundesgerichtshof (BGH) getroffen. Lediglich gegen den Angeklagten André E. wird im Dezember in Karlsruhe weiter prozessiert. Als einziger hatte er beharrlich geschwiegen und war – wahrscheinlich genau deshalb – mit einer vergleichsweise geringen Freiheitsstrafe wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch das Oberlandesgericht (OLG) München im Juli 2018 verurteilt worden.

Mit der jetzigen Entscheidung des BGH ist das Strafverfahren gegen die im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehende Hauptangeklagte Beate Zschäpe rechtskräftig abgeschlossen. Der Presse ließ ihr Rechtsanwalt Mathias Grasel bereits mitteilen, er prüfe, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen. Allerdings dürften die Erfolgsaussichten dieses Rechtsmittels eher gering sein. Letztlich hatte Grasels bisherige Prozeßstrategie mit der Verurteilung seiner Mandantin schon in erster Instanz Schiffbruch erlitten. 

Der noch unerfahrene Anwalt stieß erst im Juli 2015 – über zwei Jahre nach Beginn der Hauptverhandlung – unter nicht ganz nachvollziehbaren Umständen zu Zschäpes Verteidigerteam. Er brach mit der von deren Verteidigern bisher verfolgten Strategie des Schweigens und kündigte umgehend nach Mandatsübernahme ein Geständnis seiner Mandantin an. Zschäpe räumte ein, daß ihre verstorbenen Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für sämtliche der ihnen von der Generalbundesanwaltschaft vorgeworfenen Verbrechen verantwortlich gewesen seien. Sie selbst wollte immer erst im nachhinein von den konkreten Straftaten erfahren haben und erklärte weiter, daß sie sich aus emotionaler Abhängigkeit zu ihrem Lebensgefährten Böhnhardt und aufgrund eines Alkoholproblems nicht von diesem habe distanzieren können. 

Anwalt prognostiziert heftige Kritik aus der Rechtswissenschaft

Mit ihrem Geständnis bestätigte Zschäpe die Vorwürfe der Anklageschrift nahezu vollständig und löste zugleich das Hauptproblem der Bundesanwälte. Denn die hatten für die Version einer dreizehn Jahre lang unerkannt im Untergrund operierenden Terrortruppe, deren Mitglieder nur für den Fall ihres Ablebens ein Tatbekenntnis verfügten, keine wirklichen Beweise, sondern nur Indizien. Ein wesentliches war der Fund einer Schußwaffe, die bei einer Serie von Morden an mehreren ausländischen Kleinunternehmern zum Einsatz gekommen sein soll. 

Ebenso wurde bei den Verdächtigen Mundlos und Böhnhardt die Dienstwaffe einer 2006 getöteten Polizistin entdeckt. Letztlich tauchten noch verschiedene Versionen eines Videofilms auf, in denen die Berichterstattung zu der Ermordung der Kleinunternehmer thematisch in Episoden der amerikanischen Zeichentrickserie „Der rosarote Panther“ eingearbeitet wurde. Hier erschien auch der Begriff „NSU“ an prominenter Stelle, weshalb die Ermittlungsbehörden die Filme als Bekennervideo deuteten.

Nachdem Zschäpe die angeklagten Taten selbst bestätigt hatte, stand vor allem die rechtliche Bewertung ihres Tatbeitrages im Vordergrund. Für die Existenz einer terroristischen Vereinigung verlangt das deutsche Strafrecht mindestens drei Mitglieder. Um den NSU also zu einer Terrororganisation im Sinne des Gesetzes zu machen, bedurfte es neben Mundlos und Böhnhardt noch eines dritten Mittäters. Gäbe es nämlich keine solche Gruppe, hätten sich auch die weiteren Angeklagten keiner Unterstützungshandlung strafbar machen können. Das juristisch benötigte dritte Mitglied konnte nach Lage der Dinge nur Zschäpe sein. Fest stand jedoch, daß sie selbst an keiner der dem NSU zur Last gelegten Straftaten unmittelbar beteiligt war. Damit hätte sich Zschäpe allenfalls einer Beihilfetat strafbar machen können, was ein allzu hohes Strafmaß ausgeschlossen hätte. 

Die Richter des OLG München kamen aber zu dem Ergebnis, daß sie selbst Haupttäterin sei. Eine solche Täterschaft läßt sich juristisch grundsätzlich auch ohne eine unmittelbare Anwesenheit am Tatort annehmen. In der Strafrechtslehre wird dies beispielsweise bejaht, wenn der nicht unmittelbar beteiligte Täter die Tat gleichwohl beherrscht und auch deren Erfolg als eigenen will. In dem über 3.000 Seiten starken Urteil des OLG München wird auf dieses zentrale Problem nur in wenigen Sätzen eingegangen. Den Richtern zufolge hatte Zschäpe die begangenen Verbrechen aus ideologischen Gründen als eigene gewollt und dadurch, daß sie mit den beiden anderen Tätern eine Wohnung unterhielt, der Terrororganisation nach außen hin eine bürgerliche Legende gegeben. Mit dieser Argumentation wurde sie als Mittäterin und nicht bloß als Helferin verurteilt, was der BGH nun höchstrichterlich bestätigte. 

Auch nach Auffassung des 3. Strafsenats nahm Zschäpe „maßgeblichen Einfluß auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluß und den weiteren Willen ihrer Komplizen zur Tatbegehung“. Die Kritik von Zschäpes ursprünglichem Pflichtverteidiger Wolfgang Stahl und eines Teils der Strafrechtswissenschaft, das Münchner OLG habe geltendes Recht falsch angewendet, folgte der BGH nicht. Man sei auf „Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“ zu dem Ergebnis gekommen, daß Zschäpe die Mordanschläge und Raubüberfälle gemeinschaftlich mit Böhnhardt und Mundlos begangen habe.

Verteidiger Stahl kann das nicht nachvollziehen. Die Entscheidung im Revisionsverfahren wirke sehr ergebnisorientiert, sagte er der Legal Tribune Online. Die Zschäpe zugeschriebenen Handlungen hätten weder die Tötungsdelikte noch die Raubüberfälle gefördert oder unterstützt. Die BGH-Entscheidung werde auf heftige Kritik in der Wissenschaft stoßen, prognostizierte der Rechtsanwalt. Auch andere Stimmen in Juristenkreisen halten den Richterspruch für gewagt. Würde die Entscheidung in der Rechtsprechung Standards setzen, so eine Befürchtung, könnten sich in Zukunft schnell auch Menschen auf den Anklagebänken der Republik wiederfinden, deren einziges Vergehen es sei, wissentlich den Haushalt mit einem berufskriminellen Familienmitglied zu teilen.