© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Ein unwägbares Risiko
Afghanistan-Debakel: Bei Union und SPD sorgt man sich um Einfluß auf Wahlkampf / Berichte über eingereiste Straftäter
Peter Möller

Als wäre der langsam heißlaufende Bundestagswahlkampf nicht unvorhersagbar genug, entwickeln sich die Evakuierungsmission der Bundeswehr aus Kabul und die Umstände der Machtübernahme der Taliban nach dem Rückzug der westlichen Truppen immer mehr zu einem unkalkulierbaren Risiko – insbesondere für die Wahlkämpfer von Union und SPD.

Für Aufsehen sorgte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Anfang der Woche mit ihrer Ankündigung, sie werde die politische Verantwortung für den Einsatz der Bundeswehr in Kabul übernehmen (siehe Beitrag unten).

„Derzeit noch kein konsolidiertes Lagebild“

Konkret würde das also bedeuten: Sollten die Lage rund um den Flughafen von Kabul eskalieren und deutsche Soldaten bei der durch die falsche Einschätzung der Lage in Afghanistan durch Berlin überhaupt erst notwendig gewordenen Evakuierungsmission zu Schaden kommen, wäre die Verteidigungsministerin unmittelbar vor der Wahl zum Rücktritt gezwungen. Eine Horrorvorstellung für die Kampagnenstrategen im Konrad-Adenauer-Haus. 

Doch auch die SPD dürfte nicht begeistert sein, sah sich doch Außenminister Heiko Maas nach der Ankündigung seiner Kabinettskollegin sogleich veranlaßt, ebenfalls Konsequenzen in Aussicht zu stellen. „Ich trage die politische Verantwortung für alles, was im Auswärtigen Amt geschieht, natürlich auch insbesondere für die Fehler, die gemacht werden“, sagte Maas. In Berlin, wo sich am Mittwoch der Bundestag in seiner Sondersitzung unter anderem mit der Lage in Afghanistan beschäftigte, werden die Forderungen nach einem Untersuchungsausschuß zum Verhalten der Bundesregierung während des überraschend schnellen Vormarsches der Taliban immer lauter. 

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sagte dem rbb unter anderem, angesichts der „wirklich schlimmen Fehler von seiten der Bundesregierung“ bei der verpaßten Evakuierung der Ortskräfte sei ein Untersuchungsausschuß notwendig. Ähnlich hatte sich zuvor der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki geäußert. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Armin-Paulus Hampel, bezeichnete gegenüber dpa ein solches Gremium als „das mindeste“, das aber sehr wahrscheinlich ohne Konsequenzen bleibe. Inwiefern der Bundesregierung Fälle von Racheakten, gewaltsamem Vorgehen oder gar Tötungen von Ortskräften durch Taliban gesichert bekannt sind, konnte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Montag nicht mitteilen. Es gebe „sehr diffuse Berichte“, man könne jedoch „derzeit noch kein konsolidiertes Lagebild dazu abgeben“.

Unterdessen wachsen die Zweifel, ob die nicht nur vom Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, gegebene Zusicherung, das Jahr 2015 werde sich nicht wiederholen, sehr belastbar ist. Denn wenn derzeit auch nichts auf Flüchtlingsströme in einem Ausmaß wie 2015 hindeutet, mehren sich doch die Anzeichen, daß die politisch Verantwortlichen wieder in ähnliche Mechanismen verfallen, die während der Flüchtlingskrise dazu führten, daß Hunderttausende Menschen ungeprüft ins Land strömten. So ließ Beobachter am Wochenende die Meldung der Welt am Sonntag aufschrecken, die von einem Afghanen berichtete, der von der Bundeswehr aus Kabul nach Deutschland evakuiert wurde, obwohl er als Straftäter aus Deutschland abgeschoben worden war. 

Offenbar kein Einzelfall: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sei bei einer „niedrigen einstelligen Zahl“ von evakuierten Personen bei der Einreise festgestellt worden, daß sie hier bei der Polizei auffällig geworden seien. Der Focus berichtete zudem, daß die Bundespolizei am Wochenende die Einreise von drei Afghanen gestoppt habe, die wegen diverser Straftaten wie Vergewaltigung und Rauschgifthandel aus Deutschland ausgewiesen worden seien. 

Nach der Ankunft mit einer Evakuierungsmaschine hätten sie einen erneuten Asylantrag gestellt. Was mit solchen Personen angesichts des derzeitigen Abschiebestopps nach Afghanistan geschieht, blieb zunächst unklar. Der Sprecher des Innenministeriums gab an, dieses „pragmatische Verfahren“ angeichts der chaotischen Zustände am Flughafen Kabul beinhalte, „daß die Sicherheitsüberprüfung nach polizeilichen Erkenntnissen zu einer Person eben erst in Deutschland stattfindet“. Anhand von Listen werde bei den Personen, die in Deutschland ankommen, die Sicherheitsüberprüfung am Flughafen durchgeführt. 

Das Entscheidende – und darin schwingt mit: der Unterschied zu 2015 – sei, daß die Behörden bei der grenzpolizeilichen Einreisekontrolle genau feststellen, ob Informationen zu einer Person vorliegen. „Wenn sie das feststellen, gibt es auch die Möglichkeit, darauf zu reagieren“, so der Sprecher.