© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Illustre Runden
Christian Vollradt

Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Und weil Politiker in diesem – ausdrücklich nur übertragenen Sinne – auch „Tierchen“ sind, gibt es im Bundestag die Institution der Parlamentskreise. Wobei diese wiederum nicht so existieren wie Fraktionen oder Ausschüsse und Arbeitskreise, Gruppen oder Enquetekommissionen. 

Der Parlamentskreis ist ein informelles Gremium – eine Ausnahme von dieser Regel stellt nur der Parlamentskreis Mittelstand (PKM) der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dar. Er gehört zu den sogenannten soziologischen Gruppen (wie Aussiedler, Frauen, Arbeitnehmer oder die Junge Gruppe) innerhalb der Unionsfraktion und versteht sich als Interessenvertretung familiengeführter Unternehmen. 161 der 246 schwarzen Abgeordneten gehören dem PKM an. Ihm fehlt somit das entscheidende Merkmal, das Parlamentskreise sonst verbindet: Überparteilichkeit. 

Hier soll es formlos, zwanglos, über die Grenzen von Fraktionen und Ausschüssen hinweg nur um das eine Thema, das eine Interessengebiet gehen, für – oder gegen – das sich die jeweiligen Abgeordneten engagieren. Darin stimmen die Kreismitglieder überein, mögen sie sich auch sonst streiten wie die Kesselflicker. Themen anstoßen, Probleme benennen, gesellschaftlichen Interessengruppen ein parlamentarischer Ansprechpartner sein: darin sieht man die Aufgabe der lockeren Zusammenschlüsse.

Einer breiteren Öffentlichkeit jenseits politischer Hinterzimmer und Netzwerkabende in Bundesberlin bleiben sie meist verborgen. Ausnahme war der Ende 2018 gebildete Parlamentskreis Pferd, bei dem es buchstäblich um Tierchen und Pläsierchen ging. Vor allem die Tatsache, daß die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles zu den Mitgliedern der Interessengruppe pferdebegeisterter Politiker gehörte, sorgte für Aufsehen, teilweise auch für Amüsement oder Stirnrunzeln. Abgeordnete hätten Wichtigeres zu tun, als während der Arbeitszeit ihrem Hobby nachzugehen, monierten Kritiker. 

Daß es sich bei solchen Themenschwerpunkten um Hobbys handelt, dürfte indes auf Widerspruch stoßen. Andernfalls stünden die Mitglieder des Parlamentskreises „Prostitution wohin?“ auch etwas beschämt da. Der wurde vor zwei Jahren von den Abgeordneten Leni Breymaier (SPD) und Frank Heinrich (CDU) gegründet und widmet sich unter anderem den negativen Folgen der Liberalisierung im „ältesten Gewerbe der Welt“. Knapp 170 Bundestagsabgeordnete von Linksfraktion, Grünen und SPD haben sich im Parlamentskreis Atomwaffenverbot zusammengeschlossen, um „Deutschlands Beitritt zum UN-Verbotsvertrag durchzusetzen“. Mit der Bekämpfung des Fluglärms befaßt sich ein weiterer Kreis, der nicht unter Hobbyverdacht geraten dürfte. 

Anders sieht es da schon mit dem für „eSports und Gaming“ aus oder dem Parlamentskreis Automobiles Kulturgut, in dem sich Oldtimer-Enthusiasten wie der CDU-Abgeordnete und Alfa-2600-Fahrer Carsten Müller versammeln. Für das Öko-Gleichgewicht sorgt der Parlaments­kreis Fahrradverkehr.