© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Geniale Betrüger
Wirecard-Skandal: Felix Holtermann schildet in seinem Buch, wie der insolvente frühere Dax-Konzern Politik und Finanzsystem bloßstellt
Martin Krüger

Über den Wirecard-Skandal gibt es schon einige Bücher, etwa „Bad Company“ von Jörn Leogrande, der darin seine denkwürdige Karriere bei der Wirecard AG schildert, oder die Bücher zu den Filmen „Die Wirecard-Story. Die Geschichte einer Milliarden-Lüge“ und „Wirecard. Das Psychogramm eines Jahrhundertskandals“. Und wer nicht bis Oktober auf das Buch „House of Wirecard“ des Financial Times-Journalisten Dan McCrum, der den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands maßgeblich mit aufdeckte, warten will, der sollte Felix Holtermanns 320 leicht lesbare Seiten über die „genialen Betrüger“ lesen.

Der Handelsblatt-Journalist beschreibt spannend in sieben Abschnitten den Aufstieg des Finanzdienstleisters aus Aschheim bei München: vom Vorläufer von Wirecard, einem dubiosen Telefonverbindungsabrechner der Pornobranche, über die investigative Recherche durch Hedgefonds-Manager und Journalisten bis zur Megapleite im Juni 2020. Der Leser fühlt sich in das skurrile Treiben der Firma schnell eingebunden. Fest stehe, daß die Hälfte der Kunden nie existierte und ein Viertel der Bilanzsumme Lug und Trug waren. 24 Milliarden Euro sind futsch. Ohne Fachbuch sein zu wollen, verdeutlicht das Werk mittels Schaubildern das Geschäftsmodell, in dem digitales Geld bewegt wurde. Holtermann beschreibt das als „PayPal für Unternehmen“.

Unglaublich, wie eine Firma aus dem „Hochrisikobereich“ der Sex- und Glücksspielbranche ein akzeptiertes Geschäftsmodell hochjazzen konnte. Dazu gehört die Erklärung der „Third Party Acquirer“, die dem Verschleiern in sagenhafter Höhe ein Geschäftsmodell vorgaukeln ließ, das seines gleichen sucht: „Im Grunde war alles darauf ausgerichtet, eine Story für die Kapitalmärkte zu produzieren.“ Höhepunkt dabei: das „Projekt Panther“, als man tatsächlich die Deutsche Bank übernehmen wollte. Wohl eine Verzweiflungstat, um die fehlenden Milliarden in einem noch größeren Laden vertuschen zu wollen. Für Holtermann war Wirecard ein „Geldwaschsalon“.

Psychogramme der Hauptakteure werden anhand des rastlosen Trommelfeuers an Tweets zu vermeintlichen Erfolgsmeldungen eindrucksvoll beschrieben. Der sektenartige Zuschnitt und die dem Vorstandschef Markus Braun entgegengebrachte Gläubigkeit, der meist österreichische Kumpanen wie einen Alumniverein um sich scharte, kommen nicht zu kurz. Auch der vom BKA gesuchte und sich in der Geheimdienstwelt bewegende Jan Maršálek wird etwas erkennbar – soweit das eben geht bei einem Schattenmann ohne Klingelschild an der Münchner Villa, aber mit einem Netzwerk dubioser Personen. Wie dieser Chief Operating Officer Wirecard molk und welche Vermutungen naheliegend sind, beschreibt Holtermann eindrücklich.

Das groteske Versagen der Politik (Olaf Scholz als Finanzminister), der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Felix Hufeld als Behördenchef) und der ebenfalls tatenlosen Aufsicht des Wirtschaftsministerium (Peter Altmaier) wird eindrucksvoll vor Augen geführt. Daß der Wirecard-Lobbyismus des einstigen CSU-Hoffnungsträgers Karl-Theodor zu Gutenberg vor einer China-Visite sogar bis ins Kanzleramt führte, paßt da ins Bild. Herrlich auch einige Anekdoten, die die Haltung der Führungsetage gut widerspiegeln. All das ist spannend zu lesen und schärft den Blick für das, was in einem Dax-Konzern mit undurchschaubaren, aber zeitgeistigem Geschäftmodell alles möglich ist. Und zum Abschluß seines Buches zeigt Holtermann, was sich in Deutschland dringend ändern muß.

Felix Holtermann: Geniale Betrüger: Wie Wirecard Politik und Finanzsystem bloßstellt. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2021, broschiert, 272 Seiten, 22 Euro