© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Heute ist Freitag, heute passiert’s“ – so jedenfalls jedesmal das Kopfkino, verspricht doch die Zeile aus dem legendären Pankow-Rockmusical „Paule Panke“, das einen Tag aus dem Leben eines Lehrlings erzählt, in der U2 Richtung Pankow jede Freitagnacht verläßlich ein aufregendes, zumeist aufreizendes Publikum mit ensprechender Kommunikation. Da Deutschland seit Monaten in der Maske ist, ergeben sich in der U-Bahn immer wieder neue Augenblicke, so mir gegenüber der einer schönen mittelblonden, offenbar traurigen Mittdreißigerin mit hochgestecktem Haar, die mir sofort gefällt, zumal auch sie mich mehrfach anschaut. Während ich noch überlege, wie ich sie ansprechen könnte, höre ich schließlich eine Männerstimme aus nächster Nähe und muß erkennen, daß die Worte von „ihr“ stammen. Als „sie“ am Alex aussteigt, bin ich erleichtert. Schönhauser Allee, als ich aussteige, höre ich von der Unterführung die helle Stimme einer Singer-Songwriterin, weshalb ich, statt nach Hause zu gehen, zunächst die entgegengesetzt fahrende Rolltreppe hinunter nehme – und auf einen Sänger treffe. Hat jetzt die Weiblichkeit gewonnen, weil sie meine Sinne beherrscht, oder sind doch die Männer die Sieger? Mit anderen Worten: „Oder ist es in echt / das dritte Geschlecht?“

Rätselhaft ist die politische Blase in den Köpfen des linksintellektuellen Milieus vor dem Café Nowitschok.

Im Deutschlandfunk erklärt die Rabbinerin Irit Shillor, für sie sei es heute das wichtigste Ergebnis zu wissen, daß Hitler nicht gewonnen habe. Würde die Dame in alle Spiegel schauen, wüßte sie, daß er bis heute die Zahl der Titelbilder dominiert, sprich: noch immer der Führer ist in der „Vergangenheit, die nicht vergeht“ – also der Sieger, den das Gewehr, sprich: das „Sturmgeschütz der Demokratie“, präsentiert. Ganz abgesehen von der unter Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 ins Werk gesetzten antisemitischen Willkommenskultur mit Millionen Arabern, die in der Regel mit einem antiisraelischen Chip im Kopf ausgestattet angeliefert werden – und die alljährlich zum Al-Quds-Tag in der westlichen City Berlins aufmarschieren.


Rätselhaft ist auch die politische Blase in den Köpfen des linksintellektuellen Milieus vor dem Café Nowitschok, etwa jene Frau mit gelocktem Haar, die mir noch in Erinnerung ist, weil sie sich vor Jahren im Gespräch mit anderen über den Vorwurf, man dürfe heute nicht mehr alles sagen, kopfschüttelnd echauffierte, da sie doch selbst noch nie diese Erfahrung gemacht habe. Diesmal ist sie allerdings ratlos: Sie wisse wirklich nicht, wen sie jetzt wählen könne. Darauf der arrivierte Künstler D. mit dem Hammer-und-Sichel-Motiv auf dem T-Shirt (der auf dieselbe Schule wie Jörg Meuthen ging, den er heute gern teeren und federn würde): „Wieso, du kannst doch Die Linke wählen!“ Ich sage nichts, denke nur: „Heilige Einfalt!“ Manchmal ist es nur schlichte Schizophrenie wie beim linken Protest „Raumer 6 lebt“. Dort steht am Demostand-Tisch neben dem Motto „Kiezkultur erhalten“ die Forderung „Berlin against Borders“. Ich denk derweil an Afghanistan: „Mordsmäßig moderat / Des Talibs Kalifat“. Oder: „Der Talib, moderat: / Moderiert das Emirat.“