© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Signore Eden bleibt jenseits von Eden
Kino: Pietro Marcellos Verfilmung von Jack Londons Roman „Martin Eden“ wirkt bemüht
Dietmar Mehrens

Schon nach der ersten Klasse war Schluß. Seit seinem elften Lebensjahr reist er durch die Weltgeschichte. Trotzdem fühlt der Matrose Martin Eden sich zu Höherem berufen: Er spürt die Macht der Worte in sich. Als er dem aus einer begüterten Familie stammenden Arturo Orsini (Giustiniano Alpi) zu Hilfe eilt und zum Dank von dessen Familie eingeladen wird, beginnt sich das Blatt für den mittellosen und ungebildeten Mann zu wenden. Er gewinnt das Herz von Elena (Jessica Cressy), der bildschönen Tochter des Hauses. Bei ihr entdeckt er die Gedichte von Baudelaire und ist verzaubert.

Elena motiviert ihn, seine Bildungslücken zu schließen. Doch ihr und ihren Eltern auf der Tasche liegen möchte der ehemalige Seemann nicht. Er schlägt sich in der Hafenstadt Neapel mit einfachen Arbeiten durchs Leben, schnorrt sich bei seiner Schwester Giulia (Autilia Ranieri) und deren Mann durch und versucht sich parallel im Schreiben. Ohne Erfolg: Ein Manuskript nach dem anderen segelt zu ihm zurück. Auch Elena findet seine Kunst zu schwermütig, zu negativ, zu wenig gefällig.

Vereinnahmungslust sozialistischer Ideologen

Sein naturalistischer Stil bringt Martin Eden, den verhinderten Künstler, in Kontakt mit der sozialistischen Bewegung. Der Dichter Russ Brissenden (Carlo Cecchi), genannt Briss, wird sein Mentor. „Der Sozialismus wird deinem Schreiben einen Sinn geben“, verspricht Briss. Doch der junge Dichter spürt die totalitäre Vereinnahmungslust der Ideologen und fühlt sich davon abgestoßen. Eines Tages trudelt ein dünner Umschlag in Martins bescheidener Bleibe ein: Eine Zeitschrift meldet Interesse an einem seiner Texte an. Wird der Rastlose nun zur Ruhe kommen?

„Martin Eden“ ist die Geschichte eines Emporkömmlings, aber eines talentierten Emporkömmlings. Der Roman von Jack London (1876–1916), Seemann, Sozialist, Abenteurer, Romancier, in prekären Verhältnissen aufgewachsen, aber schon als Kind den schönen Künsten zugetan, erschien 1909 und weist eine Reihe autobiographischer Bezüge auf. Wie sein Romanheld war London Autodidakt, gab nach nur einem Semester sein Studium in Berkeley auf. Später las er Darwin, Marx und Herbert Spencer. Nach stapelweise Absagen konnte er 1899 endlich einen ersten Band mit Kurzgeschichten veröffentlichen. 

Der italienische Regisseuer Pietro Marcello hat Londons Künstler-Lebensbild von Kalifornien nach Kampanien und in eine merkwürdig verschwommene Zeit irgendwann zwischen den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts verlegt. „Martin Eden“ gilt als Schlüsselroman des Schriftstellers, Goldsuchers, Weltenbummlers und wird gern nach Motiven für den mutmaßlichen späteren Selbstmord des Autors befragt. Martin Eden ist, daran läßt der Film keinen Zweifel, kein glücklicher Mann. Als der Erfolg sich schließlich eingestellt hat, fühlt er sich trotzdem weiterhin jenseits von Eden.

Leider hat sich Marcello zu einer spröden und behäbig wirkenden Inszenierung des abenteuerlichen Stoffes entschieden. In der ersten halben Stunde passiert fast nichts. Martin-Eden-Darsteller Luca Marinelli benötigt die Hälfte der Gesamtspieldauer, so fühlt es sich zumindest an, um sich in seine Filmfigur einzufühlen. Regisseur Marcello streut immer wieder Archivaufnahmen ein, die den Rhythmus des Films zerstören, und garniert ihn ostentativ mit Anleihen beim Neorealismus der Nachkriegszeit. Das verleiht seinem „Martin Eden“ eine akademische Steifheit und Gespreiztheit, wo Emotion und Dynamik gefragt gewesen wären.

Der TV-Vierteiler von 1979, ebenfalls eine italienische Produktion (1980 im ZDF ausgestrahlt), wirkte lebendiger und spielte, obwohl in Rom und am Comer See gedreht, wenigstens noch in Jack Londons Geburtsort San Francisco. Marcello verbucht also immerhin einen Pluspunkt: Seine Interpretation des literarischen Stoffes ist eindeutig die künstlerisch kompromißlosere.

Kinostart ist am 26. August 2021

 http://martin-eden.piffl-medien.de/