© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Geld allein macht nicht glücklich
Wahre Gaunergeschichte: Sven O. Hills Film „Coup“ erzählt von einem fast perfekten Plan, reich zu werden
Dietmar Mehrens

Das Geld liegt auf der Straße, lautet eine deutsche Redensart, man muß es also nur aufsammeln. Das sagt sich auch der grundsolide wirkende Bankangestellte Rüdi (Daniel Michel). Als Experte für die komplexe Materie der ausländischen Quellensteuererstattung hat er bei dem Bankhaus, für das er tätig ist, eigentlich die Fahrkarte in eine sichere Zukunft in der Tasche. Doch die spießig-normale Fassade des jungen Mannes, der mit seiner Freundin (Paula Kalenberg) bereits ein Kind hat, täuscht. Der 22jährige führt ein dubioses Doppelleben: Er verbringt seine Freizeit mit Rockern und anderen Gestalten aus der Zwielichtzone.

Irgendwann erscheint dem frischgebackenen Familienvater der Spagat zwischen Bank und Rockerclub nicht mehr als zukunftsweisend. Und wie es so oft ist im Leben, bringt ein banales Gespräch zwischen ihm und seinem langmähnigen Kumpel Tobi (Tomasz Robak) die Wende: „Hast du noch Bock zu arbeiten?“ – „Nö, hatte ich noch nie!“ Langsam, aber mit unwiderstehlicher Gewalt nistet sich ein Gedanke in seinem norddeutschen Provinzgemüt ein: steinreich werden, in Saus und Braus leben und nie wieder einen Handschlag tun.

Die Sympathie gehört eher den Betrügern als den Betrogenen

Seinen Raketenstart ins Glück will Rüdi mit kleinen Coupons bewerkstelligen, gegen die eine Barauszahlung fällig wird, wenn der Kunde einen solchen vorlegt. Rüdi bringt die Coupons an sich, läßt sich an verschiedenen Banken Tausendmarkscheine auszahlen und deponiert den Ertrag (2,5 Millionen DM) auf einem Luxemburger Nummernkonto. Nun können er und sein Komplize Tobi von den Zinsen leben – im Ausland, versteht sich. 

Die von Sven O. Hill verfilmte wahre Geschichte läßt nicht nur wehmütig an Genre-Vorbilder wie „Vier gegen die Bank“ von 1976 denken, sondern auch an das goldene Zeitalter vor der Zinszertrümmerung durch die Pleitegeier-Rettungsagentur EZB. Der Film spielt 1988. Damals gab es für Sparer bis zu acht Prozent Zinsen! Goldene Zeiten also für Rüdi, der sich mit Tobi ins sonnige Australien abgesetzt hat. Dort leben beide wie die Made im Speck. Trotzdem plagt sie bald Heimweh, und sie müssen feststellen: Der Verzehr eines 800-DM-Hummers macht vielleicht satt, aber nicht glücklich.

Sie teilen damit das Schicksal der tragikomischen Helden aus „Buster“ (1988). In der britischen Gaunerkomödie verkörperte Phil Collins einen reuigen Bankräuber, dem selbst das Ferienparadies Acapulco nicht zum erhofften Garten Eden wurde. Das Filmlied „Loco in Acapulco“ wurde ein Welterfolg. Ästhetisch sind, da Hill sein Werk als exzentrisch-kreativen Mix aus Doku-, Spielfilm- und Zeichentricksequenzen angelegt hat, auch andere Vorbilder zu erkennen, Tom Tykwers „Lola rennt“ (1998) beispielsweise. Der junge Regisseur gibt zwar zu, beide Werke zu kennen, sieht sich selbst aber eher der skurrilen Komik des Finnen Aki Kaurismäki oder dem lakonischen filmischen Erzählen von Jean-Pierre Melville verpflichtet. 

Wie für Gaunergeschichten üblich, gilt auch in „Coup“ die Sympathie eher den Betrügern als den Betrogenen. Der reale Rüdi bekommt in Interviewpassagen, die vor dem Spielfilmdreh am Hamburger Elbstrand entstanden, sogar reichlich Gelegenheit, seine Sicht der Dinge zu verbreiten. Von Reue ist dabei nichts zu spüren. Tendiert der Film damit nicht ein wenig zu sehr in Richtung Ganoven-Hagiographie? Sven O. Hill möchte das so nicht sehen. Als Filmemacher wolle er seinen Protagonisten nicht moralisch beurteilen. Es gehe vielmehr um die Fragen: „Wäre ich auch so mutig gewesen, das durchzuziehen? Ist es moralisch vertretbar, das Geld zu klauen? Habe ich große Chancen in meinem Leben genutzt oder verpasst?“ Aber auch: „Was opfere ich für meine Liebe?“

Die drängendste Frage ist wohl aber eher: Über wieviel emotionale Intelligenz kann ein Mann verfügen, der unangekündigt untertaucht, sich nach einer Woche als gesuchter Verbrecher aus Australien meldet und dann von seiner Freundin erwartet, sie solle mit dem gemeinsamen Knirps mal schnell nachkommen? 

Kinostart ist am 26. August 2021

 www.coup-film.de