© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

„Online first“
Seit 15 Jahren beleben die „Österreich“, oe24.at und ihr TV-Angebot den Medienmarkt
Boris T. Kaiser / Gil Barkei

Obwohl der Markt Österreich um ein vielfaches kleiner ist als der bundesdeutsche, haben viele Medienkonsumenten beim Blick hinüber in unser Nachbarland den Eindruck, daß die Medienlandschaft der Alpenrepublik deutlich vielfältiger ist als die hiesige. Hauptgrund hierfür dürfte sein, daß Österreichs Medien, wie zum Beispiel ServusTV, weniger einseitig wirken und nicht so sehr auf den linksgrün dominierten Konsens gepolt zu sein scheinen.

Dabei ist der politische Mainstream der sogenannten Mitte in Österreich kein wesentlich anderer. Jedoch läßt man den politischen Gegner, allen Verteufelungen zum Trotz, dort selbst zu Wort kommen. In österreichischen Fernsehdiskussionen ist es nicht ungewöhnlich, daß Vertreter des äußeren linken Spektrums zum Beispiel mit konservativen oder neurechten Vertretern zu angeregten politischen Streitgesprächen zusammenkommen – etwas, das in der Ödnis der deutschen TV-Landschaft nahezu unvorstellbar ist. 

Ein Medienhaus, das mit dieser Strategie seit Jahren erfolgreich fährt, ist die in Wien ansässige Mediengruppe „Österreich“ GmbH. Diese startete vor 15 Jahren, am 1. September 2006, die Tageszeitung Österreich. Angefangen mit einer Startauflage von 250.000 Exemplaren lag die Druckauflage 2014 laut Österreichischer Auflagenkontrolle (ÖAK) bei über 560.000. Allerdings wird der Großteil über die landesüblichen Auslageständer an Bahnhöfen und ähnlichen Orten gratis vertrieben, so daß lediglich rund 50.000 Stück wochentags für Bares an den zahlenden Kunden gebracht wurden – ein Anspruch auf Presseförderung entfällt dadurch. Die Mediengruppe trennte daraufhin die Gratis- von der Bezahlversion, die kostenlose Version heißt seit 2018 daher Oe24. Auch ein erfolgloser Namensstreit beim Österreichischen Patentamt, bei dem der frühere Geschäftsführer der Fernsehzeitschrift Tele die Markenlöschung forderte, weil der Zeitungsname „Österreich“ ein Hoheitsmerkmal des gleichnamigen Staates darstelle, konnte die Erfolgsgeschichte nicht aufhalten.

Das Boulevardblatt unter Chefredakteur Werner Schima samt dem Online-Auftritt oe24.at erinnert an die deutsche Bild. Nur daß die Österreicher das Segment Bewegtbild bereits vor fünf Jahren massiv ausgebaut haben. 2016 startete oe24.TV, damals der erste 24-Stunden-Internetkanal Österreichs. Besonders durch die Kooperation mit CNN kann oe24.TV momentan bei der Afghanistan-Berichterstattung punkten und lag vergangene Woche laut eigenen Angaben mit einem Marktanteil von 3,5 Prozent erstmals auf Platz 2 der österreichischen privaten TV-News-Angebote. Zu Spitzenzeiten schoß das Angebot mit 13 Prozent bei der Werbezielgruppe der 12- bis 49jährigen sogar auf den ersten Platz.

Rechtskonservative Gäste bei „Fellner! Live“

Doch bei dem Sender sorgt vor allem die Sendung „Fellner! Live“, eine Talkshow moderiert von Herausgeber Wolfgang Fellner selbst, immer wieder für einschaltquotenträchtige Kontroversen. Der Medienmacher lädt regelmäßig FPÖ-Politiker wie Herbert Kickl und meinungsstarke rechtskonservative Kommentatoren wie Gerald Grosz zum Gespräch ein. 

Aber damit nicht genug. Während sich die Redaktionen vieler Polit-Talks bei uns schon dagegen sträuben, Politiker der AfD – und damit Vertreter der größten Oppositionspartei – einzuladen, geht Fellner noch einen Schritt weiter. Mehrfach hatte der 1954 in Wien geborene Journalist, der bereits mit 14 Jahren ins Mediengeschäft einstieg, den sonst überall als Persona non grata geltenden Martin Sellner bei sich zu Gast – ohne dabei große Sympathien für den Kopf der Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ) zu hegen, wie Bezeichnungen à la „Rechtsextremist“ oder „Nazi-Oasch“ verdeutlichen. Es geht um eine angeregte und zum Teil hitzige Debatte. Dies wird von den Zuschauern honoriert: Bis zu weit über 100.000 Klicks erreichen die unterhaltsamen Aufeinandertreffen auf Youtube.

Die regelmäßigen Kontroversen machen die Talkshow so erfolgreich, daß auch etablierte Polit-Größen nicht um sie herumkommen. Selbst Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sitzt immer wieder Fellner oder seinem Sohn Niki gegenüber. Der studierte Betriebswirt übernahm nach seiner Redakteurstätigkeit bei Österreich bereits 2018 die redaktionelle Leitung sämtlicher Kanäle der Mediengruppe und führt das Unternehmen damit in die Zukunft. Seine erklärte Devise dabei: „Online first“.

Foto: Niki Fellner (l.) und Kanzler Kurz (ÖVP) bei „Fellner! Live“: Martin Sellner eingeladen