© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Verlust Indonesiens als Mantra
Horst Geerkens umfangreiches Werk über deutschen Einfluß in Südostasien im Zweiten Weltkrieg, geheime Flottenstützpunkte und die rechtswidrige niederländische Internierungspolitik
Ludwig Witzani

Der Siegeslauf der japanischen Armeen in der ersten Phase des Pazifikkrieges gehört zu den staunenswertesten Leistungen der Militärgeschichte. Nach dem Überraschungsschlag gegen die US-amerikanische Flotte in Pearl Harbour überrannten die Japaner 1942 innerhalb kürzester Zeit ganz Südostasien, von den Philippinen bis an die Grenzen Australiens. Weitgehend unbekannt ist, daß vor und während dieser Expansion auch das Dritte Reich im sogenannten Südraum eine sehr wirkungsvolle Aktivität entfaltete. Diesen „blinden Fleck“ der historischen Wahrnehmung erhellt Horst Geerken in seinem vierbändigen Werk mit dem etwas zugespitzten Titel „Hitlers Griff nach Asien“. 

Horst Geerken, jahrzehntelang leitender Angestellter eines großen deutschen Industrieunter-nehmens in Indonesien, schrieb sein Werk nicht als  Fachhistoriker, sondern als Forscher vor Ort. Auf der Grundlage persönlicher Bekanntschaften, die von Präsident Sukarno bis zu einfachen Javanern reichten, erschloß er zahlreiche Originalquellen nicht nur zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs, sondern auch zur Herrschaft der europäischen Kolonialmächte, an deren Ende die Unabhängigkeit der asiatischen Nationen stand. 

Drei Themenbereiche stehen im Mittelpunkt des vierbändigen Werkes: zunächst die Aktivitäten des Dritten Reiches im asiatischen Raum, sodann  das Schicksal deutscher Zivilisten, die in Asien zwischen die Fronten gerieten, und last but not least die Bedeutung der Achsenmächte für die Unabhängigkeitsbewegung asiatischer Völker.   

Was die militärische Präsenz des Dritten Reiches in Südostasien betrifft, so arbeitet Geerken heraus, daß sie viel ausgeprägter war als bislang angenommen. Bald nach Beginn des Zweiten Weltkriegs entstanden Stützpunkte der deutschen Kriegsmarine in Sabang (Sumatra), Surabaya, Djakarta (Java) und später sogar in Singapur und Penang. Ihre Aufgabe bestand in der Versorgung deutscher U-Boote mit Proviant und Logistik für die langen An- und Abreisen von und nach Europa. Deutsche Schiffe drangen bis zu den Küsten Australiens vor und verminten die Häfen, deutsche U-Boote operierten zeitweise sogar vor den Küsten Neuseelands. Mit dem Längstwellensender Goliath besaß Deutschland das leistungsstärkste Funksystem der Welt und konnte sogar noch U-Boote erreichen, die in der Straße von Malakka vierzehn Meter unter Wasser operierten. Selbst auf den abgelegenen und unbewohnten Kerguelen-Inseln im Südpolarmeer befand sich ein geheimer deutscher Stützpunkt, der von Hilfskreuzern der deutschen Kriegsmarine angelaufen wurde, um den Nachschub an Proviant sicherzustellen. Bei den Operationen der deutschen U-Boote im Indischen Ozean kamen den Deutschen übrigens Informationen über auslaufende britische Schiffe zugute, die indische Hafenarbeiter über den indischen Unabhängigkeitskämpfer Subhas Chandra Bose an die Deutschen weiterreichten. Fest steht, daß der Nachschub von Getreide und Fleisch von Australien nach Großbritannien durch die deutsche U-Boot-Flotte im Indischen Ozean erheblich beeinträchtigt wurde. 

Geerken beschreibt aber nicht nur die militärischen Aktivitäten der Deutschen im „Südraum“, sondern am Beispiel des Plantagenverwalters Walter Hewel und anderer auch die personellen Verbindungen auslandsdeutscher Gemeinden mit der Führung des Reiches. Dabei zeigt sich, daß Hitler einem entschlosseneren Eingriff in Asien zögerlich gegenüberstand, weil es ihm widerstrebte, die Aufstandsbewegung „unterentwickelter“ Völker gegen die „weißen“ Briten zu unterstützen.  

Briten und Niederländer verspielten ihr Kolonialreich in Südostasien

Der zweite Schwerpunkt des vierbändigen Werkes beschäftigt sich mit dem Schicksal deutscher Zivilisten, vor allem der Auslandsdeutschen in Niederländisch-Indien (dem späteren Indonesien). Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die neutralen Niederlande im Mai 1940 wurden alle Auslandsdeutschen, ganz unabhängig von ihren politischen Präferenzen, verhaftet und in Männer- und Frauenlagern getrennt interniert. Ganz ähnlich wie zur gleichen Zeit die Amerikaner japanischer Herkunft in den USA wurden die Deutschen völkerrechtswidrig enteignet, entrechtet und in miserabel ausgestatteten Lagern malträtiert. Immerhin ließen es die Holländer zu, daß ein Großteil der inhaftierten Frauen und Kinder auf Kosten des Deutschen Reiches schließlich über Japan nach Europa heimreisen konnten. Um zu verhindern, daß die männlichen deutschen Kriegsgefangenen von den vorrückenden Japanern befreit wurden, beschlossen die Holländer, die Deutschen auf dem hochriskanten Seeweg nach Indien zu deportieren. Eines der Gefangenenschiffe, die „Van Imhoff“, wurde auf dem Weg von Sumatra nach Indien im Januar 1942 von einem japanischen Flieger bombardiert. Im nachherein wurde den Niederländern mit Recht vorgeworfen, daß sie die „Van Imhoff“ entgegen den Vorschriften der Genfer Konvention, nicht als Gefangenentransport deklariert hatten. Über vierhundert Deutsche, unter ihnen der weltbekannte Maler Walter Spies und der Sprachforscher und Biologe Hans Overbeck, ertranken im Indischen Ozean, weil die Niederländer, bevor sie sich selbst in Sicherheit brachten, die restlichen Rettungsboote der „Van Imhoff“ zerstörten. Erst im Jahre 2017 wurde dieses dunkle Kapitel niederländischer Kriegsverbrechen von jungen niederländischen Journalisten in einer dreiteiligen, landesweit ausgestrahlten Dokumentation aufgedeckt. Bezeichnenderweise hatten deutsche Sender an diesem Film kein Interesse.  

Daß es auch ganz anders ging, zeigt Geerken am Beispiel des britischen Interniertenlagers im indischen Dehradun. Dort erhielten die Deutschen ausreichende Nahrung und sogar eine begrenzte Selbstverwaltung. Berühmte Insassen von Dehra Dun waren Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter, die nach ihrer Flucht aus Dehradun ihre lange tibetische Reise begannen, ferner der Tanzchoreograph Alexander von Swaine und der Reisebuchautor Wilhelm Filchner. Es existierte ein Krankenhaus mit deutschen Ärzten, ein Symphonieorchester und  eine Lagerbücherei mit 15.000 Bänden.  

Am Ende unterlagen die Japaner und die Deutschen, und die Holländer und Briten versuchten, die Kontrolle über ihre Kolonien zurückzugewinnen, wobei sie nicht zimperlich zu Werke gingen. Auch hier scheut sich Geerken nicht, Roß und Reiter zu nennen, wenn er den „bengalischen Holocaust“ des Jahres 1943 beschreibt, an dem Winston Churchill eine wesentliche Mitschuld trägt. Damals hatten die Briten die Versorgung der britisch-indischen Armee und des Mutterlandes zu Lasten der Bevölkerung durchgesetzt, was bei den Bengalen zu einer Hungersnot mit bis zu vier Millionen Todesopfern führte. Auch die Details zur Schlacht von Surabaya oder zur holländischen Vernichtungsoffensive auf Sulawesi sind schockierend zu lesen.

Am Ende hat aber alles nichts genützt. Indonesien wurde ebenso frei wie die meisten asiatischen Länder, nicht zuletzt weil die Japaner vor ihrer Kapitulation, wo immer es ihnen möglich war, ihre Waffenbestände den einheimischen Unabhängigkeitsbewegungen zuspielten. Selbst deutsche Marinesoldaten und Spezialisten, die nach dem Krieg nicht nach Europa zurückkehrten, unterstützten den Freiheitskampf in Indonesien. Ein eigenes Kapitel widmet Geerken der großen deutschen Schule in Sarangan in Ostjava, in der auf Sukarnos Befehl Kadetten und Offiziersanwärter der neu gegründeten indonesischen Marine ausgebildet wurden. 

Horst Geerken: Hitlers Griff nach Asien. 4 Bände. Books on Demand, Norderstedt 2015 bis 2020, insgesamt 1.596 Seiten, broschiert, alle Bände 114,84 Euro

Foto: Deutsche Übersichtskarte von 1942 „vom Kriegsschauplatz in Südostasien“: Stützpunkte der deutschen Kriegsmarine auf Sumatra und Java