© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/21 / 27. August 2021

Förderung als Erfolgsgeschichte
1971 führte die sozialliberale Koalition das BAföG ein
Michael Dienstbier

Es waren auch die Stimmen der 68er-Studentenbewegung, die der sozialliberalen Koalition zwischen SPD und FDP den Sieg bei der Bundestagswahl 1969 bescherten. Der neue Bundeskanzler Willy Brandt war sich dessen bewußt und initiierte unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ ein umfangreiches Reformprogramm, das kaum einen gesellschaftlichen Bereich unangetastet ließ.  Eine Schlüsselstellung wies Brandt dabei der Wissenschafts- und Bildungspolitik zu. „Sie steht an der Spitze der Reformen“, verkündete er bei seinem Amtsantritt. Mehr Chancengleichheit im Bildungswesen war das Ziel, nicht eine bürgerlich-akademische Herkunft sollte bestimmend sein. Dazu stand eine Förderung bildungsferner und sozial benachteiligter Schichten im Fokus. Am 1. September 1971 trat im diesem Sinne das Bundesausbildungsförderungsgesetz – kurz BAföG – in Kraft, das für die deutsche Bildungslandschaft bis heute identitätsstiftend geblieben ist. 

Zum erstenmal besaßen Studenten und Schüler bei Bedürftigkeit einen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung zum Zwecke des Schul- oder Universitätsbesuchs. Das vor dem BAföG geltende Honnefer Modell von 1957 war keine gesetzliche Regelung mit der damit verbundenen Möglichkeit des Rechtsweges. Hier lag die maximale Förderungsquote bei 20 Prozent. Ganz anders beim BAföG: 1972 wurden fast 45 Prozent aller Schüler und Studenten unterstützt, wobei 65 Prozent der finanziellen Mittel vom Bund, 35 Prozent von den Ländern kamen. Zu dieser Zeit garantierte das BAföG einen Vollzuschuß ohne Rückzahlungsverpflichtung.

Die seit 1982 amtierende schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl reformierte das BAföG radikal. Mittlerweile drängten sich knapp 1,2 Millionen Studenten an den deutschen Universitäten – 1971 waren es noch weniger als 500.000 gewesen. Öl- und Wirtschaftskrise und die damit verbundene steigende Arbeitslosigkeit stellten den deutschen Sozialstaat vor ernsthafte Herausforderungen. Das BAföG wurde in ein Volldarlehen umgewandelt, das komplett zurückgezahlt werden mußte. Die von ihren Gegnern als „BAföG-Kahlschlag“ bezeichnete Reform zeigte die erhoffte Wirkung: Bis 1989 sank die Förderungsquote auf 18 Prozent.

Die Grundlage des bis heute geltenden Systems ist ein Ergebnis der Wiedervereinigung. Um die Studenten der neuen Bundesländer nicht zu benachteiligen, galt ab 1990 folgende BAföG-Regelung für das gesamte Bundesgebiet: 50 Prozent Zuschuß, 50 Prozent zinsloses Darlehen, wobei die rot-grüne Regierung den zurückzuzahlenden Betrag 2001 auf 10.000 Euro deckelte. Seit 2012 sinkt die Zahl der BAföG-Bezieher trotzdem kontinuierlich, 2020 waren es knapp 640.000 Schüler und Studenten, was einer Quote von 18,8 Prozent entspricht. Da der maximale Förderungssatz 2019 von 622 auf 716 Euro erhöht wurde, stiegen die Gesamtausgaben dennoch auf den Rekordwert von über 2,2 Milliarden Euro jährlich. Bei aller ständig zu vernehmenden Unzufriedenheit über seine konkrete Ausgestaltung besteht in Deutschland weitgehend Einigkeit darüber, daß es sich beim BAföG um eine Erfolgsgeschichte handelt.