© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Vor der nächsten Welle
Früher „Fachkraft“, jetzt „Ortskraft“: Doch der neue Asylansturm ist nicht einmal Wahlkampfthema
Michael Paulwitz

Die neue Migrationswelle rollt. Am Hindukusch braut sich ein Tsunami an Migrationswilligen zusammen. Die Asyl-Lobby sieht es mit Freuden und kaum verhohlener Erwartung; die Bundesregierung trifft nicht etwa Vorkehrungen zur Abwehr unerwünschter Einreisen, sondern sendet unverdrossen Willkommenssignale und organisiert auch noch den Transfer.

Zeitgleich blüht auch auf den bekannten Routen über den Balkan und das Mittelmeer das Schlepper- und Schleuserwesen wieder auf. Illegale Einreisen und Asylanträge steigen bereits deutlich an. Der kurzzeitige Rückgang der Zahlen während der Corona-Krise im vergangenen Jahr war nur eine saisonale Delle. Auf dem Landweg über Weißrußland tut sich derweil ein weiterer Migrationskanal auf. Während die Frontstaaten an den EU-Außengrenzen mit dem neuerlichen Ansturm ringen, übt sich das offizielle Berlin in passiver Ergebenheit. Nun sind sie halt gleich da.

Die „Ortskraft“ hat die 2015 noch bejubelte „Fachkraft“ als trojanischen Türöffner für die illegale Migration abgelöst. Die wundersame Vermehrung jener Kräfte, die für die Bundeswehr und das deutsche Polizeiprojekt tätig gewesen und nunmehr gefährdet sein sollen, sprengt alle Dimensionen. Im November 2018 bezifferte die Bundesregierung auf Anfragen der Grünen die Zahl der „Ortskräfte“ mit Schutzanspruch in Deutschland auf exakt 576. Im Juni 2021 wußte das Verteidigungsministerium, abermals von einer Grünen-Abgeordneten befragt, von 526 Berechtigten, von denen 457 ihre individuelle Gefährdung bereits angezeigt hätten.

Ausgeflogen wurde mit Maschinen der Bundeswehr allein bis Ende August schon die zehnfache Zahl. Nur etwa hundert davon waren tatsächlich solche „Ortskräfte“. Und die anderen? Das scheint keiner zu wissen. Mindestens vier bereits bekannte Straftäter, darunter Vergewaltiger, die schon einmal aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben worden waren, hatten allerdings ebenfalls den kostenlosen Flugservice in Anspruch genommen.

Ein Fehlschlag, den die Bundesregierung offensichtlich noch zu potenzieren gedenkt. 13.000 „Ortskräften“ und Familienangehörigen will sie bereits die Aufnahme zugesagt haben. Mindestens 50.000 müsse man aufnehmen, frohlockt die Grünen-Chefin und „Kanzlerkandidatin“ Annalena Baerbock, während Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf Werbetour in die Anrainerstaaten Afghanistans geht, um auch nach dem Abzug des westlichen Militärs den „zivilen“ Transfer von 40.000 oder auch 70.000 Afghanen nach Europa und Deutschland sicherzustellen.

Das ist kein Irrtum und kein Versagen, das hat Methode. Deutschland, das seit dem Willkommens­putsch von 2015 schon rund 200.000 Afghanen ins Land gelassen hat, die zu einem erschreckend hohen Anteil die Kriminalstatistiken füllen und mit deren Integration unser Gemeinwesen bereits hoffnungslos überfordert ist, packt auf das ungelöste Problem ein noch größeres obendrauf.

Die Beschwerden der ersten Neuankömmlinge, die sich in Afghanistan einer für örtliche Verhältnisse fürstlichen Bezahlung erfreuen durften und nun murren, daß sie nicht sofort komfortabel einquartiert und weiter privilegiert worden seien, lassen wenig Gutes erwarten. Vor allem aber: Die leichtfertig ausgesandten, von innerdeutscher Moralpolitik gesteuerten Einladungssignale sind ein fataler Katalysator, der dem beträchtlichen Migrationspotential in der Region – der Bundes­innenminister schätzt es realistisch auf bis zu fünf Millionen Menschen allein aus Afghanistan – erst recht den Weg nach Deutschland und in die deutschen Sozialsysteme weisen wird.

Dort sind afghanische Glückssucher längst nicht die einzigen, die an die Türe klopfen. Aus allen Himmelsrichtungen mehren sich die Warnzeichen, daß der nächste Asylansturm auf Europa bereits in vollem Gange ist. Bulgarien entsendet laufend weitere Militäreinheiten an seine Grenze zu Griechenland und der Türkei. Diese wiederum riegelt die Grenze zum Iran ab; wer trotzdem durchkommt, so kann man sich leicht ausrechnen, wird nach Europa weitergewiesen.

Dort wächst der Schleuserverkehr auch über das Mittelmeer sprunghaft an. Seit Januar sind nach Regierungsangaben bereits 37.000 Bootsmigranten nach Italien gekommen, mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. An einem einzigen Tag landeten in Lampedusa mehr als 500 illegale Einwanderer.

Am nordöstlichen Ende der EU hat Litauen den Notstand ausgerufen, nachdem Ende Juli in einer einzigen Woche über 1.000 illegale Migranten die Grenze überschritten hatten – eingeschleust über Weißrußland. Dessen Usurpator Alexander Lukaschenko setzt die Migrationswaffe gezielt gegen die EU ein, die sein mörderisches Regime mit Sanktionen belegt.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden kommen Iraker, Afrikaner und neuerdings auch Afghanen mit Linienflügen nach Minsk, werden in Hotels einquartiert und zum Teil unter paramilitärischer Bedeckung an die Grenze geleitet. Wer es auf EU-Gebiet schafft, wird per Auto nach Deutschland weitertransportiert und angehalten, „I am in Germany“-Botschaften als Werbung für weitere Kunden des lukrativen Schleusergeschäfts aufzunehmen.

Noch weist Litauen, ebenso wie die gleichfalls bedrängten Nachbarländer Lettland und Polen, die illegalen Grenzübertritte nach Kräften zurück und versucht die Invasion mit einem Grenzzaun einzudämmen. Die EU-Kommission hält vorerst still. Doch der „humanitäre“ Druck wächst, und in Wilna, Warschau und Riga weiß man sehr genau, daß das eigentliche Ziel der Eindringlinge nicht im eigenen Land liegt. Sondern in Deutschland. Dort steigt seit Januar auch die Zahl der Asylanträge; 72.000 waren es bereits bis Anfang August, davon allein 12.200 im Juli.

„Für eine Demokratie ist es entscheidend, wer hier lebt und woran die Menschen glauben“, erklärt der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, der zumindest rhetorisch auf eine restriktive Migrationspolitik dringt und „keinen einzigen“ Afghanen aufnehmen will. In Deutschland dagegen ist die Ankunft der neuen Migrationswelle nicht einmal Wahlkampfthema. Auf Dauer wird sich diese Realität freilich auch durch die Beschwörung von noch so vielen „Corona-Wellen“ nicht ausblenden lassen. Je später das Erwachen, desto höher die Kosten.