© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Wahlkampf-Endspurt
Stumpfe Waffen
Dieter Stein

Der Wahlkampfendspurt zwischen den in den Umfragen stärksten Parteien wird zum Schaulaufen darum, wer sich am überzeugendsten als Erbe von Angela Merkel, als ihr Wiedergänger präsentiert. Denn damit trifft man offenbar – von den Lesern dieser Zeitung mal abgesehen – die Mitte der Volksseele.

Dies ließ sich auch beim ersten Fernseh-„Triell“ zwischen Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock beobachten. Das von Merkel perfektionierte System der asymmetrischen Demobilisierung wird wechselseitig auf die Spitze getrieben. Immer wieder wird allzu Polarisierendes bereits präventiv abgeräumt, werden Kanten abgeschliffen, verschwinden potentielle Gegensätze unter einem Schaumteppich harmonischer Botschaften.

Die hektischen Warnungen der Union vor einem „Linksrutsch“ verstärken den Eindruck von Panik.

Terrorisierung der Bürger mit Gender-Sprech? I wo, Gott bewahre! Auch Baerbock dimmt den Tugendwahn in der Runde herunter, angeblich soll niemand zu seinem Glück gezwungen werden.

Strategisch hat sich das Adenauer-Haus gegenüber der SPD in eine schwierige Lage manövriert. Lange galten die Grünen als der demoskopische Hauptgegner, weil die Sozialdemokraten wie einbetoniert im 15-Prozent-Keller festsaßen. Völlig unterschätzt wurde dadurch Scholz, dem es gelang, wie ein Atom-U-Boot am Nordpol durch die Packeisdecke zu stoßen und die Öffentlichkeit mit einer perfekten Kampagne in seinen Bann zu ziehen.

Mit seinen überpersonalisierten, schwarz-weiß-roten Plakaten, die Scholz als Aufräumer und Staatsmann genial inszenieren, werden die Betrachter gefesselt. Gleichzeitig verschmilzt er ikonographisch mit Angela Merkel – in der Süddeutschen läßt er sich sogar mit den berühmten Rauten-Händen der Kanzlerin ablichten.

Gegen das Scholz-Merkel-Hybrid und mangels einer eigenen Kampagne, die zünden könnte, verfallen Unionspolitiker plötzlich darauf, alte stumpfe Waffen auszugraben. Ausgerechnet Markus Söder, der in der Klimapolitik die Grünen links überholen will, warnt jetzt vor einem „historischen Linksrutsch in Deutschland“, den es abzuwenden gelte. Vor seiner eigenen Haustür hätte er dabei genug zu tun. Hat nicht die CDU dafür gesorgt, daß Bodo Ramelow als Ministerpräsident der Linkspartei in Thüringen im Amt bleiben konnte?

Derartige hektische Angriffe werden beim wankelmütigen Publikum eher den Eindruck von Panik verstärken und die staatsmännisch-besonnene Attitüde von Olaf Scholz in noch leuchtenderen Farben erscheinen lassen. Obwohl er tatsächlich nur die bürgerliche Fassade einer Partei ist, die von linksradikal-identitären Kräften beherrscht wird. Was dringt am Ende durch?