© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

O Armin, dir verdanken wir das!
Wahlkampf: Angesichts verheerender Umfragewerte wachsen in der Union Frust und Nervosität / Sorge vor dem Machtverlust
Christian Vollradt

Gemütslage mit fünf Buchstaben? Panik. So könnte man die aktuelle Stimmungslage in der Union kurz zusammenfassen. Zwar gibt man sich vor den Kameras noch betont gelassen und optimistisch, daß man dieses kleine Tief rasch durchschritten habe und im Endspurt noch durchstarten werde. Doch hinter den Kulissen herrscht vielfach blankes Entsetzen beim Blick auf die Leistungsbilanz des Wahlkampfs mit Spitzenkandidat Armin Laschet. 

Aus dem satten Vorsprung, den die C-Parteien vor den Sozialdemokraten hatten, ist ein Minimalabstand geworden. Manche Meinungsforscher sehen in ihren Umfragen die SPD bereits vor der Union. Bei der Forschungsgruppe Wahlen liegen beide mit 22 Prozent gleichauf, bei Forsa hat die SPD die Nase knapp vorn (23 zu 22 Prozent). Nur bei Allensbach führen die Laschet-Leute mit 26 Prozent vor Scholz und Genossen (24 Prozent). Finster für die Schwarzen wird es bei Insa, der jüngsten unter den erwähnten Erhebungen: Hier rangierte am vergangenen Sonntag die SPD mit 25 Prozent bereits deutlich vor CDU/CSU mit 20 Prozent.  

Wut auf die Dilettanten im Konrad-Adenauer-Haus

Wem das in der Union noch nicht reichte, der mußte seinen Blick nach Nordosten wenden. Zeitgleich mit der Bundestagswahl wird in Mecklenburg-Vorpommern auch der Landtag gewählt. Und als am Donnerstag vergangener Woche NDR und Ostsee-Zeitung hierzu eine neue Infratest-Umfrage veröffentlichten, kamen für die CDU die reinsten Horrorzahlen heraus: Der Koalitionspartner der SPD im Schweriner Schloß kommt auf nur noch 15 Prozent. Das sind acht Punkte weniger als im Juli. Und es ist nur der dritte Platz – hinter der AfD (17 Prozent), die indes vom Abschmieren der Schwarzen nicht sonderlich profitieren kann. Die SPD von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig dagegen könnte den Umfragen zufolge ihr Ergebnis von 2016 um mehr als fünf Punkte verbessern und käme auf 36 Prozent, neun Punkte mehr als im Juli. 

Richtig sauer sind viele in der Jungen Union. Die sieht sich selbst als Speerspitze im Straßenwahlkampf – und wird in den beiden Mutterparteien auch als solche eingesetzt. Doch aus nachvollziehbaren Gründen steht es mit der Motivation des Nachwuchses nicht zum allerbesten. Der hätte sich – auch außerhalb Bayerns – mehrheitlich CSU-Chef Markus Söder als gemeinsamen Kanzlerkandidaten gewünscht. Bekanntlich entschieden die Partei-granden anders ... 

In der Union schlägt jetzt die Stunde der Experten fürs „Wording“, der Sprachregelungsfachleute. Auffallend oft betonen die jetzt, daß in Deutschland der Kanzler nicht vom Volk, sondern vom Bundestag gewählt wird, ergo die Bedeutung des Spitzenkandidaten gar nicht so herausragend sei. Vielmehr komme es auf die Inhalte, das Programm, das Team, das Gesamtpaket – die Partei an. Bei den Wählen außerhalb Nordrhein-Westfalens stehe Laschet schließlich gar nicht auf dem Wahlzettel. Die Bedeutungsminimierung des Spitzenkandidaten richtet sich zudem gegen den Konkurrenten Olaf Scholz. Die Botschaft ist klar: Bei der SPD werde eine Mogelpackung offeriert. Denn der pragmatische Realpolitiker mit dem kühlen Hanseaten-Charme, der beim Wähler offenbar punkten kann, sei für seine Partei nicht repräsentativ. Hatte die ihn doch im Rennen um die SPD-Spitze durchfallen lassen und statt dessen per Urwahl für die beiden Linksaußen-Kandidaten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans votiert. Nach der Wahl, so werden die Wahlkämpfer von CDU und CSU nicht müde zu betonen, werde dann nicht mehr Olaf Scholz die Richtung der SPD bestimmen, sondern Esken, Nowabo – und Kevin Kühnert. Dann gebe es nicht die vom Spitzenkandidaten präferierte Ampelkoalition, sondern dann drohe Rot-Grün-Rot. 

Tatsächlich haben die Kampagnenmacher des Willy-Brandt-Hauses im Wahlkampf sehr viel richtig gemacht. Ratterte der „Schulz-Zug“ vor vier Jahren in den Zustimmungskeller, scheint der Scholz-Expreß die Gegenrichtung einzuschlagen. Teil dieser Strategie scheint zu sein, die Partei-Doppelspitze weitestgehend aus der medialen Öffentlichkeit herauszuhalten, so als wären sie geknebelt und an einen Baum gefesselt wie der Gallier Troubadix in der Schlußszene eines jeden Asterix-Comics. 

Scholz, die Fortsetzung Merkels mit anderen Mitteln. Der Hamburger, der jetzt in Potsdam für den Bundestag kandidiert, kokettiert damit und ahmt die berühmte Merkel-Raute für Fotografen nach. Spötter im politischen Berlin meinen schon, bald trete Scholz sogar im Hosenanzug auf. Doch was besonders fuchst: Scholz scheint vor allem das Merkelsche Erfolgsrezept der asymmetrischen Demobilisierung anzuwenden: kontroversen Themen ausweichen und darauf setzen, daß die Wähler des Gegners frustriert zu Hause bleiben. 

Um so mehr Unmut regt sich an der Basis der Union über den Dilettantismus im Konrad-Adenauer-Haus. Dort habe man viel zu lange auf die Grünen als Hauptkonkurrenten geschielt, Scholz offenbar vollkommen unterschätzt – und nicht rechtzeitig attackiert. Das Versagen des Finanzministers im Wirecard-Skandal, die auffälligen Gedächtnislücken des ehemaligen Hamburger  Bürgermeisters bei den Cum-Ex-Geschäften einer hanseatischen Privatbank, die G20-Krawalle 2017 ... 

Doch die Trendwende, schalmeit es aus der Parteizentrale, bringen jetzt ein Team jüngerer Nachwuchspolitiker – und Themen. Als da wären der Plan für ein „klimaneutrales Industrieland“, die „digitale Modernisierung“ sowie das Schwarzbrot der Union: innere und äußere Sicherheit. Doch ob das die Zukunftsängste derer vertreibt, die um ihr Mandat im nächsten Bundestag bangen müssen, und die derjenigen Büroleiter und Referenten, deren Arbeitsplatz wiederum an solch einem Mandat hängt, ist höchst ungewiß. 

Foto: Unions-Kanzlerkandidat Laschet: Das Volk wählt Parteien, nicht den Kanzler