© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Ländersache: Hessen
Aus der Vergessenheit holen
Christian Vollradt

Wie kein anderer Ort symbolisiere die Frankfurter Paulskirche „bis heute das Streben der deutschen Nation nach nationaler Einheit und demokratischer Freiheit“, heißt es auf der Internetseite des Deutschen Bundestages. Das Parlament der Jahre 1848/49 sortiert man in Berlin in die Ahnengalerie ein. Und so gehört die Paulskirche zu den „Orten der deutschen Demokratiegeschichte“, für die der Bundestag im Juni mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD und FDP eine gleichnamige Stiftung ins Leben rief.

Rechtzeitig zum 175. Jahrestag 2023 soll auch das historische Gebäude saniert werden. Denn derzeit weise die Paulskirche zahlreiche bauliche Defizite auf, heißt es bei der zuständigen Kulturstaatsministerin. Dabei solle die Nachkriegsarchitektur behutsam modernisiert werden. Im März 1944 wurde die Paulskirche durch Bomben fast völlig zerstört und bereits kurz nach Kriegsende. in „zeitgemäß vereinfachter Gestalt“ wieder aufgebaut. 

Um den Bau als „Lern- und Gedenkort“ aus seinem Schattendasein herauszuführen, müsse der Innenraum wieder „einen Hauch der Atmosphäre von 1848“ erhalten, „was durch die Art und Anordnung der Bestuhlung, die Gestaltung der Wände sowie das Einbringen zusätzlicher Elemente mit Bezug auf die Nationalversammlung möglich sein sollte“, meinen indes Mitglieder der Expertenkommission, die im Auftrag der Bundesregierung die Neugestaltung der Paulskirche vorantreiben sollen. Dem Gremium unter Führung des ehemaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder gehört unter anderem der Historiker Herfried Münkler an. Dieser beklagte bereits im vergangenen Jahr, die Paulskirche sei als nationales Symbol in Vergessenheit geraten, ein „vernachlässigter Ort“ geworden, der fast ausschließlich auf Frankfurter Anlässe beschränkt werde. 

In manchen Feuilletons erhebt sich dagegen bereits die Klage und Mahnung vor einem angeblich drohenden Historismus. Und daß Münkler die Nachkriegs-Kargheit im Inneren der Paulskirche als Ergebnis der damaligen „finanziellen Notlage“ deutet, das anschließend mit „Architektenprosa“  übergossen worden sei, sorgt für zusätzliche Empörung. Fehlte noch, daß man den Vorschlägen von FDP und AfD im Frankfurter Römer folgt,  Philipp Veits Gemälde „Germania“ von 1848 zurück in die Paulskirche zu bringen.

Kritik an der Kommission übt unterdessen auch die AfD im Hessischen Landtag. Zwar unterstütze man das Anliegen, die Paulskirche zum „Schlüsselort der deutschen Demokratiegeschichte“ zu machen. „Doch zu einer umfassenden Erinnerungskultur gehört es auch, die etwa 173 Burschenschafter zu würdigen, die in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 einen erheblichen Teil der 809 Mitglieder ausmachten“, gab der kulturpolitische Sprecher der AfD, Frank Grobe, zu bedenken. Daher sollten „renommierte Experten für Burschenschaftsgeschichte“ in die Kommission mit aufgenommen werden. Theoretisch hätte die Kauder-Kommisson sogar die Möglichkeit, der Forderung nachzukommen. Denn sie kann selbst entscheiden, „welche zusätzlichen Fachleute sie in ihre Arbeit punktuell einbeziehen will“.