© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Georg gegen den WDR
Der Fall des Gebührenverweigerers Georg Thiel: Akten zeigen, wie der milliardenschwere WDR Thiel in sechsmonatige Haft zwang und eine ganze Stadtverwaltung lähmte. Es sollte ein Exempel statuiert werden
Ronald Berthold

Kurz bevor der Rundfunkbeitrags-Verweigerer Georg Thiel ins Gefängnis muß, verschont das Kölner Landgericht drei Gruppenvergewaltiger von der Haft. Sie bleiben in Freiheit, sofern sie nicht noch einmal stundenlang eine Frau mißbrauchen sollten. Sogar für schwere Taten sind in Deutschland Bewährungsstrafen üblich.

Thiel jedoch kommt acht Wochen später für ein halbes Jahr hinter Gitter. Sein Vergehen: Da er seit 25 Jahren kein Fernsehgerät und seit einem Jahrzehnt kein Radio mehr besitzt, weigert er sich inzwischen, die Zwangsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu entrichten. Es ging um insgesamt 651,35 Euro. Und der WDR – der pikanterweise ebenfalls in Köln sitzt und seinem Intendanten Tom Buhrow 404.000 Euro Jahresgehalt zahlt – kennt keine Gnade.

Dabei täuscht der Rundfunk auch die Öffentlichkeit. Denn trotz seiner Bekundungen, daß eine Erzwingungshaft „im Zusammenhang mit dem Rundfunkbeitrag in der Regel nicht verhältnismäßig“ sei, tut er alles, damit Thiel maximal bestraft wird. In heuchlerischem Ton teilt der WDR mit, er sei „nicht mehr Herr des Verfahrens“. In Wahrheit drängt der öffentlich-rechtliche Sender bei Behörden und Justiz massiv darauf, an dem 54jährigen ein Exempel zu statuieren. Das geht aus Unterlagen hervor, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegen.

Dienstag vergangener Woche ist der GEZ-Rebell freigekommen. Seine Haft in einer acht Quadratmeter großen Zelle der JVA Münster hat er bis auf den letzten Tag absitzen müssen. Der WDR intervenierte mehrfach, um eine vorzeitige Freilassung zu verhindern. Dabei schreckte die Rundfunkanstalt vor nichts zurück. Um Thiel sozial zu ächten, diffamierte der WDR den EDV-Zeichner, der in der Haft um acht Kilo abgemagert und sichtlich gealtert ist, gar wahrheitswidrig als „Reichsbürger“.

WDR diffamiert Thiel als „Reichsbürger“

Die Perfidie, mit der die ARD-Anstalt hinter den Kulissen gegen den Schuldner vorgeht und die Behörden als Marionetten seines Milliarden-Zwangsbeitrages benutzt, erschüttert. Zumal das Drama um Thiel nach Wortlaut des Westdeutschen Rundfunk als Schema für „künftige Internierungsfälle“ gelten soll.

Die haarsträubende Geschichte des Georg Thiel beginnt am 23. September 2020. An diesem Tag ruft der Sender bei der Stadtkasse des Rathauses Borken an. In der dortigen „Aktennotiz/Telefonnotiz“ heißt es: „Nach telefonischer Rücksprache mit Frau (der Name ist der Redaktion bekannt) vom WDR soll der Haftbefehl vollstreckt werden.“ Die Stadt Borken gehorcht. Nur einen Tag später wendet sie sich ans Amtsgericht: „Sie werden beauftragt, die Verhaftung des Schuldners durchzuführen.“

Der WDR zieht derweil die Fäden. Am 4. November meldet er sich beim Amtsgericht Borken. Die Gerichtsvollzieherin, die Thiel später verhaften läßt, fertigt einen Telefonvermerk: „Ich habe heute einen Anruf der Pressestelle des Westdeutschen Rundfunks in Köln erhalten.“ Der Sender frage, „ob bereits eine Verhaftung stattgefunden habe“. Er halte „am Verhaftungsauftrag und dem entsprechenden Haftbefehl fest“. Erstmals verleumdet der Sender Thiel: Er äußert den „Verdacht, daß der Schuldner der Reichsbürgerszene angehöre“, notiert die Beamtin.

Der WDR will jedoch, daß die Justiz abwartet, ob andere Medien die bevorstehende Verhaftung – auf die Thiel in Mitteilungen aufmerksam macht – thematisieren. Doch kein Journalist greift den Skandal auf. Der WDR sieht sich daher in der Vorhand und ruft eine Woche später erneut die Gerichtsvollzieherin an. Diese notiert, der Sender halte weiter an der Verhaftung des Rundfunkverweigerers fest. Handschriftlich fügt sie – offenbar beeinflußt vom Westdeutschen Rundfunk – hinzu: „Reichsbürger? Verstärkung bei Vollstreckung des Haftbefehls.“ Acht Tage darauf fragt die Gerichtsvollzieherin bei der Justizvollzugsanstalt Münster an, ob „im Hinblick auf die aktuelle Corona-Pandemie“ eine „Einlieferung möglich ist“. Dies wird bejaht.

„Thiel droht bei vorzeitigem Haftende zum Held zu werden“

Die WDR-Intrige, Thiel sei ein gefährlicher „Reichsbürger“, hat sich am 4. Februar endgültig verselbständigt. „Dafür liegen hier Anhaltspunkte vor“, schreibt die Gerichtsvollzieherin an die Polizei. Sie verlangt Amtshilfe bei der Verhaftung und bringt nun, inspiriert vom Sender, einen möglichen „gewalttätigen Widerstand des Schuldners“ ins Spiel.

Von all dem ahnt Thiel nichts – er bemerkt allerdings, daß sein Wohnhaus von einem Polizisten ausgespäht wird. Er mißversteht dies als unmittelbar bevorstehende Verhaftung und will dem Nervenkrieg selbst ein Ende setzen. Thiel geht zum Revier, zeigt seinen Haftbefehl und bittet um Vollstreckung. Doch er wird zurückgeschickt. Nun geht er zum Amtsgericht, um sich selbst einzuliefern. Doch auch dort weigert man sich. Die Gerichtsvollzieherin müsse zuerst einen Termin bestimmen und dann die Anweisung zum Verhaften geben. Die Verhaftung erfolgt drei Wochen später. Thiel leistet keinerlei Widerstand, bittet die Beamten freundlich in seine Wohnung, und diese fahren ihn ins Gefängnis. Er landet am 25. Februar zunächst in einer Viermannzelle.

Thiels Anwalt klagt gegen die Haft, doch der WDR gewinnt vor dem Amtsgericht Borken und dem Landgericht Münster. Thiels Niederlagen veranlassen den Rundfunk zu Plänen, den Fall als Blaupause für weitere Verhaftungen zu verwenden. Am 19. März 2021 schreibt die Rundfunkanstalt an die Stadt Borken eine geradezu gruselige Botschaft: „Die Argumentation der Richterin kann uns auch für evtl. künftige Inhaftierungsfälle weiterhelfen.“

Inzwischen macht Thiels Haft doch Schlagzeilen. Journalisten fragen nach, was da los sei, und das ruft empörte Bürger auf den Plan. Der WDR behauptet, damit nichts zu tun zu haben. Schuld sei die Stadtkasse. Die Kreisstadt Borken steht damit im Zentrum der Kritik. Nachdem Thiel bereits fast einen Monat einsitzt, hat die Stadtverwaltung genug. Denn sie ist inzwischen zur Zielscheibe der Kritik geworden.

Sie beklagt sich am 23. März beim WDR: „Die medialen Angriffe durch Telefonanrufe, E-Mails etc. durch Beitragsgegner behindern uns in unserer täglichen Arbeit und rufen ein Negativimage hervor, welches der Stadt Borken nicht zuträglich ist.“ Unter dem Druck verlangt die Behörde vom WDR Auskunft darüber, „ob eine weitere Beugehaft noch sinnvoll ist“. Sie fragt den Sender auch, „wie lange die Maßnahme ihrerseits weiter fortgeführt werden soll“. Zwischen Sender und Stadt ist also klar, wer den Skandal zu verantworten hat, auch wenn der WDR öffentlich seine Hände in Unschuld wäscht.

Die Stadt Borken interveniert: Haftdauer ist unverhältnismäßig

Fünf Stunden später bekräftigt der Sender seinen laxen Umgang mit der Wahrheit: „Die Geschäftsleitung des WDR hält an ihrer bisherigen Auffassung fest, daß die Beugehaft weiterhin bestehen bleiben soll.“ Denn im Falle einer Freilassung „wird er in seiner Community sicher als ‘Held’ oder ‘Märtyrer’ gefeiert werden“. Man wolle kein „falsches Signal“.

Doch die andauernde Haft wirkt in der Bevölkerung exakt so: als falsches Signal. Die Empörung wächst. Am 3. Mai wird es der Stadt Borken zu bunt. Sie bittet die Anstalt „dringend“, die „Frage der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, die nach unserer Einschätzung (…) mit einer Dauer der Erzwingungshaft von mehr als acht Wochen nicht mehr gegeben ist“. Im Klartext: Sie drängt auf Thiels baldige Freilassung. Borken beschwert sich auch über die Öffentlichkeitsarbeit des Senders. Dessen Behauptung, daß „die Entscheidung über das weitere Vorgehen bei der zuständigen Vollstreckungsbehörde liegt“, sei „falsch und irreführend“. Borken verlangt von der Rundfunkanstalt „dringend und kurzfristig eine Klarstellung gegenüber den Medien“.

Der WDR antwortet, er habe eine andere Rechtsauffassung. Die bisherige Korrespondenz zwischen dem Sender und der Stadt habe dazu gedient, betont der Rundfunk, „mit einer Stimme zu sprechen“. Heißt: mit der des WDR. Um diese wiederherzustellen, bietet die Anstalt „ein persönliches Gespräch in der Angelegenheit“ an. Es klingt nach Einbestellung.

Am 7. Mai schlägt Borken dem WDR erneut und überdeutlich vor, Thiel freizulassen. Doch der Sender antwortet nicht. Fünf Tage später faßt die Stadt nach. Diesmal bestätigt Köln den E-Mail-Eingang, lehnt die Forderung aber entschieden ab. Thiel muß im Gefängnis bleiben.

Borken erkennt, daß es das bleibt, was es von Anfang an ist: eine reine Vollstreckungsbehörde des öffentlich-rechtlichen Senders. Die Stadt zahlt geschätzte 25.000 Euro für Thiels 181tägigen Gefängnisaufenthalt, damit der WDR versuchen kann, 651,35 Euro einzutreiben. Ergebis: Null. Denn Thiel bleibt hart und zahlt nicht für Programme, die er weder hört noch sieht und deren Einseitigkeit er obendrein noch ablehnt. Die Summe ist mittlerweile auf fast 2.000 Euro gestiegen. Die Forderung indes verjährt erst nach dreißig Jahren.

Aktennotiz der Stadt Borken vom 23. September 2020: Nach telefonischer Rücksprache mit Frau (…) vom WDR soll der Haftbefehl vollstreckt werden.

Telefonvermerk der Gerichtsvollzieherin vom 4. November 2020: „Ich habe heute einen Anruf der Pressestelle des WDR in Köln erhalten. (…) Man erklärte mir weiterhin, daß dort in der vergangenen Zeit immer wieder diverse Schreiben des Schuldners eingegangen seien, in denen er seinen Unmut gegenüber den GEZ-Gebühren und den entsprechenden Vollstreckungsverfahren äußerte. Zudem habe man dort den Verdacht, daß der Schuldner der Reichsbürgerszene angehöre.“

E-Mail der Stadt Borken an den WDR vom 23. März 2021: „Die Stadt Borken steht als Vollstreckungsbehörde wegen der Amtshilfe derzeit medial stark im Fokus. Die medialen Angriffe durch Telefonanrufe, E-Mails etc. der Beitragsgegner behindern uns in unserer täglichen Arbeit und rufen ein Negativimage hervor.

Aus diesem Grunde möchte ich Sie bitten, bei der Geschäftsleitung nachzufragen, ob eine weitere Beugehaft noch sinnvoll ist bzw. wie lange diese Maßnahme Ihrerseits weiter fortgeführt werden soll.“

Antwortschreiben des WDR an die Stadt Borken vom 23. März 2021: „Wenn wir unser Amtshilfeersuchen zurücknehmen würden und Herr Thiel aus der Haft entlassen wird, dann wird er in seiner Community sicher als ‘Held’ oder ‘Märtyrer’ gefeiert werden und es wird propagiert werden, daß man nur hartnäckig bleiben muß, um der Zahlung des Rundfunkbeitrags zu entgehen. Das wäre sicher ein falsches Signal. Wichtig ist hier auch der solidarische Gedanke hinter dem Rundfunkbeitrag. Solidarisch bedeutet dabei, daß alle Bürger*innen, Unternehmen, Institutionen und Einrichtungen des Gemeinwohls in Deutschland einen Beitrag leisten, damit jeder vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk profitieren kann. (…) Sich der gesetzlichen Beitragspflicht zu entziehen und Zahlungen zu verweigern ist insbesondere all jenen gegenüber nicht gerecht, die den Rundfunkbeitrag ordnungsgemäß entrichten.“


Foto: Rundfunk-Goliath Tom Buhrow holt aus zum Schlag gegen den Gebührenzahler-David Georg Thiel: „Die Argumentation der Richterin kann uns auch für eventuell künftige Inhaftierungsfälle weiterhelfen.“