© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Grüße aus … Prag
Einen Kafka, eine Müllerova
Paul Leonhard

Ich weiß, was ich will, aber der junge Kellner spricht nur Tschechisch und Englisch. Auch die Speisekarte kennt nur zwei Sprachen. Und das in der Stadt, in der jahrhundertelang deutsch gesprochen wurde, selbst noch unter den Kommunisten, als alle nach harter D-Mark gierten. Deutsch war die Hauptsprache im „U Fleků“, jenem legendären Brauhaus, in dessen Biergarten sich DDR-Jugendliche zu Ostern und Pfingsten oder auf der Reise nach Ungarn oder Bulgarien trafen, um ohne Devisensorgen eine Maß Dunkles zu trinken. Damals ist man nicht zwangsplaziert worden, sondern setzte sich dorthin, wo die Kumpels saßen. 

Aber nach dem Mauerfall stand ihnen nicht nur der Ostblock, sondern die ganze Welt offen. Dafür entdeckten junge US-Bürger die „Goldende Stadt an der Moldau“, und in den Schulen wurde das obligatorische Russisch nicht durch Deutsch, sondern durch Englisch ersetzt. Deutsche und die meist deutsch sprechenden Juden waren ja ohnehin längst nur noch eine verschwindende Minderheit. Auf den Klingelschildern, auf die ich während des Stadtbummels neugierig schaue, entdeckte ich lediglich einen Kafka und eine Müllerova. Selbst die Bahnhofsdurchsagen sind inzwischen nicht mehr auf deutsch. Es ist kein böser Wille, sondern die älteren Generationen, die noch Deutsch beherrschten, sind bald ausgestorben.

Im Prager Biergarten landet das Dunkle ungefragt auf dem Tisch. Aber was heißt Eisbein auf englisch?

Nur Kulturinteressierte und jene, die sich beruflich nach Deutschland oder Österreich orientieren, lernen noch Deutsch. Junge deutsche Reisende radebrechen selbstverständlich auf englisch. In einem gemütlichen, zu einem Hostel gehörenden Biergarten erhalten die Gäste daher eine sprachliche Lektion: Sie sollten nicht „beer“ bestellen, sondern „pivo“, steht mit Kreide auf einer Tafel gedschrieben. Im „U Fleků“ knallen die Kellner das Bier ungefragt auf den Tisch. Aber was heißt Eisbein auf englisch? Kurzerhand tippe ich meinen Nachbarn an, deute erst auf seinen Teller, dann auf die Speisekarte. Der versteht sofort, und ich lasse, bis der Keller kommt, meinen Zeigefinger genau da, wo er hingedeutet hat. Später, im Hotel, entdecke ich noch eine dritte Sprache: Auf einem dreisprachigen Zettel steht in kyrillisch, daß jene, die das Rauchverbot mißachten, eine „Schtraf“ von 50 Euro zu zahlen haben. Da haben doch die Russen tatsächlich dieses deutsche Wort adoptiert.

Und da kommt mir die geniale Idee: Wozu hat meine Begleitung mehrere Jahre in der Sowjetunion studiert? Sie bestellt beim nächsten Biergartenbesuch in fließendem Russisch. Was die Tschechen nicht gern hören, aber genau verstehen. So halten wir es fortan. Wo kein Deutsch verstanden wird, sprechen wir Russisch. Breschnews letzte Rache sozusagen. Lächeln ernten wir damit nicht, aber „Schtraf“ muß sein.