© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Risiken und Nebenwirkungen
Corona-Krise: Insolvenzantragspflicht für Flutopfer bis Ende Januar 2022 ausgesetzt / Aber was kommt auf die anderen Unternehmen zu?
Georg Bremer

Das neue Aufbauhilfegesetz hat die Insolvenzantragspflicht für hochwassergeschädigte Firmen bis 31. Januar ausgesetzt. Das Bundesjustiz- und das Verbraucherschutzministerium können die Sonderregelung bis Ende April 2022 verlängern, wenn dies wegen „fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen“, andauernder Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen oder sonstiger Umstände geboten erscheint. Das hilft Unternehmen, die durch die Flutkatastrophe im Juli unverschuldet in Existenznöte geraten sind.

Für die coronageschädigten Firmen ist die Insolvenzantragspflicht seit Mai wieder in Kraft, aber eine Pleitewelle ist ausgeblieben. Doch das muß nicht so bleiben: „Wenn die Corona-Hilfsprogramme, die Liquiditäts- und Überbrückungshilfen und auch die Kurzarbeiterregelung auslaufen und die Unternehmen wieder verstärkt auf Fremdfinanzierung angewiesen sind, droht eine Kreditklemme“, warnt Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW).

Ökonomen wie Markus Krall warnen schon seit Jahren vor „Zombieunternehmen“, die nur dank der Niedrigzinspolitik der EZB überleben konnten. Die Corona-Hilfen haben aber Betrieben und Dienstleistern mit geringer Effizienz das Überleben ermöglicht. Gleichzeitig waren viele Firmen im Lockdown gezwungen, den Einsatz digitaler Technik zu forcieren. Unterbrochene Lieferketten erforderten Betriebsschließungen. Manche Bereiche brachen völlig ein, etwa die Kultur-, Unterhaltungs- und Touristikbranche sowie das Messe- und Kongreßwesen. Das Gastgewerbe mußte seit März 2020 monatliche Umsatzeinbrüche zwischen 17,5 und 70,8 Prozent hinnehmen. Der Umsatz ging von 93,6 Milliarden (2019) auf 59,5 Milliarden Euro (2020) zurück.

Mehr Forderungsausfälle und illiquide Geschäftspartner

Die Automesse IAA Mobility findet nächste Woche in München statt, das Oktoberfest auf der Theresienwiese wurde aber wie 2020 abgesagt. Einige Brauereien setzten in der Pandemie mehr Flaschen ab; wer vom Faßbier und den Brauhausbesuchern lebte, hatte das Nachsehen. In der Autoindustrie befanden sich einige Zulieferer schon vor Corona in Insolvenz. Der Pkw-Absatz ging 2020 in Deutschland um 19,9 Prozent zurück – aber mit großen Unterschieden: Bei Mercedes und BMW betrug das Minus 10,6 bzw. 13,7 Prozent, bei Ford und Opel waren es über 30 Prozent. Und das Absatztief von März bis August 2020 kann im laufenden Jahr nicht voll ausgeglichen werden: Es fehlen branchenweit unverzichtbare Elektronikteile. Das hat die Neuwagenrabatte fallen und die Gebrauchtwagenpreise und Mietwagentarife steigen lassen. VW baute die knappen Chips bevorzugt in teure Modelle ein – was Audi und Porsche im ersten Halbjahr eine operative Rendite von 10,7 bzw. 17,6 Prozent bescherte.

Seriöse Wirtschaftsprognosen sind derzeit nicht möglich. 2020 erlitt die deutsche Wirtschaft pro, Quartal Wachstumsverluste zwischen 1,5 und 11,3 Prozent. Im ersten Quartal 2021 lag der Rückgang noch bei -3,3 Prozent. Erst im zweiten Quartal gab es wieder ein Wachstum von 9,8 Prozent, das die Verluste von 2020 aber längst nicht ausgleicht. Zu viele Faktoren sind noch völlig unsicher. So zählte etwa der Flughafen München am 21. August erstmals wieder über 70.000 Passagiere. Für den ganzen Monat wird mit 1,8 Millionen Fluggästen gerechnet. Aber im August 2019 waren es noch 4,5 Millionen. Und welche Tourismusziele im Herbst und Winter als Corona-Hochrisikogebiete eingestuft werden, weiß niemand.

Das gilt auch für die prognostizierte Pleitewelle. Im ersten Halbjahr 2021 meldete die Wirtschaftsauskunftei Creditreform nur 8.800 Unternehmens­insolvenzen – das waren 1,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum (8.950). Doch dies sei wohl vor allem der bis Ende April ausgesetzten Insolvenzantragspflicht geschuldet, warnt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung. Und im Handelssektor gab es trotz aller Corona-Hilfen einen Anstieg der Pleitenzahl um 3,8 Prozent auf 1.920. Zudem zeige eine Auswertung der Jahresabschlüsse von 26.000 Firmen, daß 14,5 Prozent von ihnen mit einem negativen Ergebnis vor Steuern in die Corona-Krise gegangen seien. Weitere 27,2 Prozent hätten 2019 eine Gewinnmarge von maximal fünf Prozent erzielt – denkbar schlechte Voraussetzungen für den Corona-Konjunktureinbruch, so Hantzsch.

Die Bedrohung für eigentlich gesunde Unternehmen wird – etwa durch massive Forderungsausfälle und zahlungsunfähige Geschäftspartner – im zweiten Halbjahr ebenfalls deutlich zunehmen. Um sich auch dagegen zu wappnen, sind Problembewußtsein, die Suche und Mandatierung von geeigneten Spezialisten und eine gesunde Einschätzung der eigenen Wirtschaftskraft zwingend notwendig.

Aufbauhilfegesetz 2021: dserver.bundestag.de