© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Die Geächteten
SEK der Polizei Frankfurt: Zuerst gefeiert und dann fallen gelassen / Ein Beamter zieht kritisch Bilanz
Martina Meckelein

Er stürmte im Kugelhagel Häuser. Er befreite Menschen, die Todesangst litten, aus Geiselhaft. Er garantierte Politikern beim G20-Gipfel in Hamburg die Sicherheit. Der Kampf gegen Schwerstkriminalität war seine Berufung. Dafür setzte er sein Leben ein. Politiker gaben seinen Todesmut als ihren Erfolg aus, suhlten sich im Beifall der Presse. Das ist vorbei. Jetzt sind die Elitepolizisten für die Politiker, aber noch schlimmer, für die Führungsebene der hessischen Polizei Geächtete, Ausgestoßene.

 „Ich dachte immer, unser Feind sei das polizeiliche Gegenüber“, sagt der Mann und ist dabei vollkommen ruhig. „Doch ich habe mich geirrt, unser Feind ist der Vorgesetzte.“ Das ist die Bilanz eines ganzen Berufslebens: ein großer Irrtum. Die JUNGE FREIHEIT sprach mit einem der suspendierten Polizisten des Frankfurter Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei über die Vorgänge in Hessen. Zu seinem Schutz werden wir weder seinen Namen noch seinen Dienstrang nennen.

„Er sagte mir, daß ich nie wieder beim SEK arbeiten würde“

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und 17 weitere Beamte des Frankfurter SEK wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole (§ 86a StGB) und Volksverhetzung (§ 130 StGB). Peter Beuth (CDU), der Innenminister des Landes, hätte es bei dieser Information belassen können, wenn nicht sogar müssen. Doch sein Ministerium sucht immer wieder die Öffentlichkeit und gibt immer weitere Interna aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bekannt.

 „Diese Vorwürfe kann ich nicht stehen lassen“, sagt der Beamte. „Die diskreditieren die gesamte gute Arbeit, die wir über Jahrzehnte geleistet haben.“ Höflich abwartend wirkt er, fast ein wenig distanziert, wie er so mit geradem Rücken, die Schultern zurück, am Tisch sitzt. Das ist kein Einzelkämpfer, der sich profilieren muß. Der Mann scheint zu wissen, was er kann. „Alles begann mit einem Ermittlungsverfahren gegen einen unserer Kollegen, der in Rheinland-Pfalz wohnt. Da soll es unter anderem um zwei Videos gehen. Es wird wegen des Verdachts der Kinderpornographie ermittelt“, sagt der Beamte. Im Zuge dieser Ermittlungen wurden die gesamten Chatverläufe des Polizisten aus Rheinland-Pfalz untersucht. Die Fahnder entdeckten alte Textnachrichten des SEK aus den Jahren 2016 bis 2019. „Vermutlich im April, so heißt es jedenfalls, hätte dann Rheinland-Pfalz das hessische Innenministerium über diese Chats informiert.“

 Nun kann man geteilter Meinung sein, ob diese Entdeckung für Innenminister Beuth ein Schlag ins Kontor oder ein gefundenes Fressen war. Wer oder besser wie ist denn nun Peter Beuth? „Ein Technokrat, der sich volksnah gibt, es aber nicht ist“, so ein intimer Kenner des hessischen Polizeiapparates und der Landespolitik zur JUNGEN FREIHEIT. „Er ist kühl, aber überempfindlich, groß geworden in der Jungen Union. Nach dem Studium hat er direkt wichtige Posten in der CDU bekommen und sitzt seit gefühlten hundert Jahren im Landtag. Er ist Rheinländer, kein Hesse. Bouffier hält nichts von Beuth.“ Doch wenn dem so ist, warum sollte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ihn halten? „Weil er ihn braucht“, so der Insider.

Sicher ist, daß ihn die Opposition im Landtag, die SPD und die Linke, seit Monaten unter Druck setzt. Die Vorwürfe: Beuth habe die Polizei nicht im Griff. Ein Stichwort ist „NSU 2.0“. Es gibt eine nicht bestätigte Vermutung, Polizisten hätten Adressen von linken Politikern Rechtsextremen zugänglich gemacht. 

Keine angenehme Situation für Beuth und seinen Chef Bouffier. Der regiert nämlich mit den Grünen mit nur einer Stimme Mehrheit, und Beuth hat eben ein Landtagsmandat. Würde er weiter von den Linken und der SPD unter Druck gesetzt werden, so heißt es im Landtag, könnte er hinschmeißen. Sicher ist, daß er nun endlich, auch gegenüber seinem grünen Koalitionspartner, den starken Mann darstellen kann, der gegen rechte Umtriebe, selbst in der Elitetruppe SEK, knallhart durchgreift.

 Das Frankfurter SEK hatte noch am 8. Juni einen Einsatz gegen die organisierte Kriminalität absolviert. Beuth war wie üblich voll des Lobes: „Allein die hessische Polizei hatte unter der Leitung des Hessischen Landeskriminalamts rund 1.500 Beamtinnen und Beamte im Einsatz und durchsuchte mehr als 100 Objekte. Angesichts des immensen weltweiten Koordinierungsaufwands und des durchschlagenden Ermittlungserfolgs gebührt den beteiligten Ermittlern großes Lob.“ 

Sein Auftritt vor der Presse einen Tag später klang jedoch vollkommen anders: „Die heutigen Durchsuchungsmaßnahmen bei Beamten des Frankfurter Spezialeinsatzkommandos sollten nun auch dem letzten Polizisten deutlich machen, daß jeglichem Fehlverhalten konsequent strafrechtlich und disziplinarisch nachgegangen wird.“

 „Dieser 9. Juni war schon seltsam“, erinnert sich der SEK-Beamte. „An dem Tag waren unsere Rufbereitschaft, das Ad-hoc-Team und alle Lehrgänge abgesagt. Wenn da etwas passiert wäre – gute Nacht, Marie! Wir waren, so rund 60 Mann, zu einer Personalversammlung zwecks Personalentwicklung alle um 8.30 Uhr in den großen Besprechungsraum des Polizeipräsidiums geladen. Da saßen schon der Kommandoführer und der Direktionsleiter. Gemeinsam betraten der Abteilungsleiter Einsatz, dann der Leiter Verfassungsschutz und der Justitiar und eine Schar von Sachbearbeitern den Raum, bewaffnete Kräfte sicherten die Tür. ‘Jetzt verlassen all die, die wir aufrufen, den Raum’, hieß es. Dann wurden die Namen vorgelesen. Junge und ältere Kollegen standen auf und gingen, der Rest, so 20, blieben sitzen, ich auch.“ Denjenigen, die im Raum bleiben, wird eröffnet, daß es um Ermittlungen wegen rechtsextremistischer Nachrichten, Kinderpornographie und Volksverhetzung gehe.

 Zeitgleich finden bei sechs SEK-Beamten Durchsuchungen statt. „Man sagte uns, es herrsche ein Kommunikationsverbot. Dann gingen wir eine sogenannte Sachbearbeiterstraße entlang. Am ersten Tisch saßen zwei junge Kollegen, die mir die strafrechtlichen Ermittlungen verkündeten und das Strafverfahren eröffneten. Den Kollegen war das peinlich. Bevor ich zum Abteilungsleiter Einsatz mußte, verlangten die Kollegen meine Waffe, die ich abgeben mußte. Das war vor dem zweiten Tisch, an dem der Abteilungsleiter Einsatz, Thomas Seidel, saß. Der eröffnete mir das Disziplinarverfahren und wollte mich vernehmen. Ich kreuzte an, daß ich keine Aussage mache. Er sagte mir, daß ich nie wieder beim SEK arbeiten würde.“

 Während die Beamten oben Spießruten laufen, findet Innenminister Beuth markige Worte vor der Presse und löst en passant das gesamte Frankfurter SEK auf. Damit hätte Hessen nur noch eins und zwar am Standort Kassel. Unter der Überschrift „Gestern gefeiert – heute gefeuert“, macht die Deutsche Polizeigewerkschaft Hessen am 10. Juni ihrem Unmut Luft: „Beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität erfolgten unter Aufbietung aller Kräfte – darunter auch des SEK Durchsuchungen gegen die organisierte Kriminalität. Die Botschaft an Kriminelle war eindeutig: „Die Polizei ist wachsam!“ Einen Tag später – der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen (F. Schiller) – waren SEK-Beamte Ziel von Durchsuchungsmaßnahmen.“

Die angekündigte Auflösung des Frankfurter SEK ist für die Presse ein gefundenes Fressen, geht es doch um vermeintlich rechtsradikale Umtriebe in der Elitetruppe. Von einem Ehrenschrein im Polizeigebäude für einen 2019 im Dienst verstorbenen SEK-Beamten ist die Rede. Der Spiegel berichtet: „Das Bild des verstorbenen Kollegen war ‘überlebensgroß’, so berichten es Augenzeugen.“ Der Beamte stellte gegenüber der jungen freiheit klar: „Das war ein DIN-A4-großes Foto.“ 

Zurück bleiben verunsicherte und desillusionierte Polizisten

Ganz eifrig hervor tut sich der Wiesbadener Polizeipräsident, Stefan Müller, er soll das SEK jetzt neu strukturieren. Müller sagte, so der Spiegel weiter, daß die SEK-Räume im Frankfurter Polizeipräsidium nicht nur von einer befremdlichen Trauerkultur zeugen, sondern daß es eine Unmenge von „Erinnerungsstücken“ und verherrlichenden Aufnahmen der Arbeit des SEK gegeben habe: „Beamte, die in voller Einsatzmontur vor der Frankfurter Skyline posieren, bildliche und textliche Inszenierungen von Stärke und Macht.“ Er kritisiere ein „übersteigertes Elitebewußtsein“ und einen „zur Schau gestellten Korpsgeist“ der Frankfurter Truppe. 

Noch verrückter wird es, als er ihnen vorwirft, den US-Comic-Film „300“ zu glorifizieren. Doch so richtig rechtsextremistisch ist das alles noch nicht.

 Die Polizeiführung und der Innenminister kommen ins Straucheln. Zumal einige SEK-Beamte den Weg an die Öffentlichkeit über Tichys Einblick, den Hessischen Rundfunk (hr), Die Welt und die junge freiheit suchen. Es ist schon bemerkenswert, daß die Regionalpresse, wie die FAZ, außen vor gelassen wird. „Die sind viel zu regierungsnah“, erklärt der Beamte gegenüber der JF. Die Beamten gehen in den Interviews durchaus selbstkritisch mit sich ins Gericht. Doch ist das wirklich Volksverhetzung, wenn das Logo auf dem Foto einer Afri-Cola-Flasche so verändert wird, daß „Nafri“, die polizeiinterne Abkürzung für „Nordafrikanischer Intensivtäter“, zu lesen ist?

 Das Innenministerium, davon kann man ausgehen, hat die Interviews der derzeit Suspendierten genau analysiert. Zu welchem Schluß ist es gekommen? Die Ministerialen gehen mit immer weiteren Interna an die Öffentlichkeit. Am 26. August findet eine weitere Pressekonferenz statt. Der hr berichtet: „Zwar seien die Inhalte überwiegend straffrei“, doch innerhalb der Gruppe seien „Wertemaßstäbe verrutscht“, erklärte der kommissarische Präsident des Hessischen Landeskriminalamts, Andreas Röhrig. Nicht allein dies. Der Sender berichtet, daß das Ministerium nicht nur Fotos von Innenräumen des SEK veröffentlicht habe, sondern auch einige Chatmeldungen. Dies allerdings ist brisant. Denn wenn diese Chats und Fotos Teile der Ermittlungsakten sind – wovon man ausgehen kann, immerhin zeigen die Fotos Weihnachtskugeln mit aufgemalten Hakenkreuzen –, könnte das Innenministerium gegen Paragraph 353d StGB (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) verstoßen haben. Die JF bat das Innenministerium in Wiesbaden um Stellungnahme. Das erklärte, daß „die Veröffentlichung bzw. Wiedergabe von besagten Chat-Inhalten im Einvernehmen mit der sachleitenden Staatsanwaltschaft Frankfurt erfolgte“. 

Was kam nach zehn Wochen Ermittlungen heraus? Über 20.000 Chatnachrichten wurden geprüft, drei davon sollen strafrechtlich relevant sein. Von der Auflösung des SEK Frankfurt ist jetzt keine Rede mehr. Das Kasseler und das Frankfurter SEK sollen an ihren Standorten bleiben, werden zu einem SEK Hessen zusammengeführt und dem Hessischen Bereitschaftspolizeipräsidium unterstellt sein. Ob und wie viele Frankfurter SEK-Beamte weiter Dienst tun können, ist noch nicht klar. Sicher ist: Sie sind verunsichert und desillusioniert. „Ich wollte doch nie den Staat verändern, ich wollte ihn bewahren“, sagt zum Abschied der Polizist. „Egal, das Kapitel SEK ist in meinem Buch des Lebens abgeschlossen.“





Spezialeinsatzkommandos: Aufgaben und Struktur

Nach dem palästinensischen Terroranschlag auf  Israels Olympiamannschaft 1972 in München war offensichtlich, daß die deutschen Sicherheitsorgane solchen Lagen nichts entgegenzusetzen hatten. So kam es zur Gründung einiger Polizei-Spezialeinheiten: Sonder-, später Spezialeinsatzkommando (SEK), Mobiles Einsatzkommando (MEK), Grenzschutztruppe 9 (GSG9) und Verhandlungsgruppen (VG). Jedes Bundesland hat mindestens ein SEK zu stellen. Das Personal wird aus dem Polizeivollzugsdienst rekrutiert. Altersgrenzen: 23–35 Jahre. Frauen sind zugelassen, scheitern allerdings an den sportlichen Leistungsanforderungen. Verschiedene Eignungstests, psychische und physische, werden durchgeführt. Nach einem Jahr Ausbildung folgt das Stammkommando um sich weiter zu spezialisieren als Präzisionsschütze, Sanitäter, Kletter- und Abseilinstructor. Jedes Jahr stehen Tests an, bei Nichtbestehen muß der Beamte das SEK verlassen. Die am stärksten belasteten SEKs sind Berlin und Frankfurt mit jährlich um die 500 Einsätze.

Foto: Aufnäher des Spezialeinsatzkommandos (SEK) von Frankfurt am Main: Demnächst nur noch die Geschichte einer erfolgreichen Einheit