© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Literarischer Antisemitismus in der Literatur der DDR
Stereotype im Leseland
(wm)

Mit „Nackt unter Wölfen“ gelang Bruno Apitz 1958 ein millionenfach verkaufter literarischer Welterfolg. Der auch verfilmte und als Schullektüre verordnete Roman von der „Selbstbefreiung“ der Insassen des Konzentrationslagers Buchenwald trug maßgeblich dazu bei, das „antifaschistische Widerstandsnarrativ“ des SED-Staates zu zementieren. Mit der historisch falschen Behauptung, unter kommunistischer Führung hätten die Häftlinge ihre SS-Bewacher niedergerungen und sich den Weg in die Freiheit erkämpft, konnte sich die DDR wenigstens ansatzweise als „Sieger der Geschichte“ und damit als das „bessere Deutschland“ legitimieren. Für die Literaturwissenschaftlerin Anja Thiele, die 2020 an der Universität Jena mit einer Arbeit über „Die Shoah in der Literatur der DDR“ promovierte, verdeckt gerade Apitz’ antifaschistischer Heldenroman, daß es im „Leseland“ DDR ein massives Problem mit „literarischem Antisemitismus“ gegeben habe (Sprachkunst, 2/2020). Doch im Unterschied zur Literaturgeschichte der alten Bundesrepublik, zu der es an moralisch aufgeladenen Untersuchungen nach Art von Klaus Brieglebs „Wie antisemitisch war die Gruppe 47?“ (2003) nicht fehle, gebe es für die Literatur der DDR „nichts Vergleichbares“. Obwohl, wie Thieles Stichproben, Apitz’ Roman und Rolf Schneiders Volksstück „Die Geschichte vom Moischele“ (1970), zeigen sollen, den Forscher reicher Ertrag belohnen würde. Denn verpackt in marxistisch-leninistische Deutungsmuster, die die Shoah als notwendige Stufe auf dem Weg in eine bessere sozialistische Welt verharmlost hätten, habe die alte antisemitisch konnotierte „Stereotypisierung des Jüdischen“ in vielen Texten fortgewirkt. 


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