© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Zeitschriftenkritik: Ruperto Carola
Folgen der Selbstermächtigung
Werner Olles

Das zweimal jährlich erscheinende Forschungsmagazin der Universität Heidelberg Ruperto Carola befaßt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit dem Titelthema „Verbinden & Spalten“, das in Zeiten der Corona-Pandemie zu einer zentralen Frage geworden ist, die von den Naturwissenschaften über die Medizin und die Geisteswissenschaften bis hin zu den sogenannten Gesellschaftswissenschaften und einem gar nicht so kleinen Teil der Bürger derart unversöhnlich behandelt wird, daß man im Prinzip von „sich gegenseitig abschottenden Blasen“ sprechen kann, wie die Germanistin und Philosophin Christiane von Stutterheim und der Experimentalphysiker Matthias Weidemüller in ihrem Gespräch „Was die Welt zusammenhält“ meinen. Während es dem Naturwissenschaftler um den Antagonismus zwischen Konstruktivismus und Reduktionismus geht, findet die Philosophin: „Das Schönste, was einem als Wissenschaftler passieren kann, ist doch, daß die ursprüngliche Hypothese nicht stimmt und man eine neue aufstellen muß, die sich dann tatsächlich als die überlegene erweist.“

Über die „Spaltung der Gesellschaft durch Mißtrauen“ diskutieren Wissenschaftler der Psychologie, der Rechts- und Politikwissenschaften am Beispiel der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Sie gehen dabei den Folgen und dem Ausmaß „gesellschaftlicher Selbstermächtigung“ auf den Grund und erörtern mögliche Gegenmaßnahmen. Von den schulrechtswidrigen „Klimastreiks“ bis zu den Corona-Demonstrationen stelle sich aus rechtlicher Perspektive die Frage, wie mit rechtsverletzender „gesellschaftlicher Selbstermächtigung“ umzugehen sei. Ein empirischer Blick auf die regierungsamtliche Selbstermächtigung zeigt, daß hier versucht wird, sich eine Macht zu verschaffen, die dem eigentlichen Souverän von der herrschenden Politik nicht zugestanden wird. Die Behauptung der Wissenschaftler, daß „gesellschaftliche Selbstermächtigung und Verschwörungsmentalität“ dazu neigen, sich eigene Regeln und Normen zu geben und die allgemeinen nicht mehr zu befolgen, ist banal. „Mißtrauen als grundlegender Mechanismus“ bei der Akzeptanz angeblicher Verschwörungstheorien geht natürlich einher mit einer Zunahme der Unzufriedenheit mit politischen und medialen Eliten. Rechtswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche und psychologische Analysen – man ist ja schon dankbar, daß der Begriff „psychoanalytisch“ nicht auftaucht – reichen daher nicht aus, das verlorengegangene Vertrauen von Teilen der Bevölkerung in das Funktionieren des Rechtsstaats, in demokratische Prozesse und in die Bereitschaft der politischen Akteure, Probleme erfolgreich zu lösen, mit denen sich die Bürger real konfrontiert sehen, wiederzugewinnen. 

Kontakt: Universität Heidelberg, Kommunikation und Marketing, Grabengasse 1, 69117 Heidelberg.

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