© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Heiteres Musikraten in trauter Runde an einem nahezu dauerverregneten Sonntag. Die Stücke werden nur wenige Sekunden angespielt, dann sollen Interpret und Titel erraten werden. Anschließend hören wir die Lieder noch vielleicht bis zur Hookline oder maximal dem Refrain weiter, danach geht’s zum nächsten Song. Bei „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones jedoch stockt plötzlich das Spiel und verändert sich die Stimmung, als einer aus dem Kreis vorschlägt: „Hey, laßt uns mal den Titel komplett hören und auf Charlie Watts anstoßen!“ Gesagt, getan. Wir erheben unsere Gläser und gedenken des am Dienstag voriger Woche im Alter von 80 Jahren in einem Londoner Krankenhaus verstorbenen Drummers der Stones. Für die Neue Zürcher Zeitung war er das „musikalische Rückgrat“ der Band, für die Süddeutsche Zeitung ihre „Herzmaschine“. Der Spiegel nannte Watts einen „Jahrhundertschlagzeuger“. Wie wird es jetzt weitergehen mit der „größten Rock’n’Roll-Band der Welt“? In einem Interview mit dem Musikmagazin Rolling Stone erklärte Keith Richards im Sommer 2018, die Stones werden so lange spielen, „bis einer von uns den Löffel abgibt“. Ende September dieses Jahres nun sollte sich ihre pandemiebedingt unterbrochene „No Filter“-Tour in den USA fortsetzen, und für 2022 steht ihr 60jähriger Bandgeburtstag ins Haus. Unsere Runde geht jede Wette ein: Die Rolling Stones werden es sich nicht nehmen lassen, dieses Jubiläum mit weiteren Konzerten und im Gedenken an Charlie Watts zu zelebrieren.

Vor 30 Jahren erschien das Nirvana-Album mit dem berühmten Cover, das ein nacktes Baby im Wasser zeigt.

Lesefrüchtchen I: „Aus hundert Kaninchen wird niemals ein Pferd und aus hundert Verdachtsgründen niemals ein Beweis.“ (Ermittlungsrichter Porfirij zu Rodion Romanowitsch Raskolnikow in Dostojewskis „Schuld und Sühne“)


Apropos Jubiläum: Vor 30 Jahren erschien das Album „Nevermind“ der US-Rockband Nirvana mit dem berühmten Cover, das ein nacktes Baby im Wasser zeigt, das scheinbar auf einen Dollarschein zuschwimmt. Das Baby war der damals vier Monalte alte Spencer Elden, der jetzt vor einem Gericht in Kalifornien dagegen klagt. Er wirft der Band, dem Fotografen und der Plattenfirma die „Verbreitung von Kinderpornographie“ vor. Grund: Auf dem Foto ist sein Schniedel zu sehen. „Aus Respekt vor meiner Intimsphäre sollten sie meine Genitalien auf dem Bild retuschieren“, zitiert ihn seine Anwaltskanzlei. Elden fordert eine Schadensersatzsumme von 150.000 Dollar pro Beklagtem. Vor dreißig Jahren bekamen seine Eltern für die Beteiligung an dem Fotoshooting 200 Dollar.


Lesefrüchtchen II: „Von allen Schulen der Geduld und der Klarheit ist das Schaffen die wirksamste. Es ist zudem das erschütternde Zeugnis für die einzige Würde des Menschen: die eigensinnige Auflehnung gegen seine Lage, die Ausdauer in einer für unfruchtbar erachteten Anstrengung. Sie erfordert eine tägliche Anstrengung, Selbstbeherrschung, die genaue Abschätzung der Grenzen des Wahren, Maß und Kraft.“ (Albert Camus, „Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde“)