© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Sollte die Menschheit sich demnächst auslöschen und in – sagen wir – 3.000 Jahren eine außerirdische Zivilisation Archäologen auf unseren Planeten schicken, dann würden sie bei ihren Ausgrabungen in Mitteleuropa auf „Kultkombinate“ stoßen: teilweise jüngere, teilweise uralte, ausgesprochen große Gebäude mit einem oder mehreren Türmen, an denen archaische Zeitmesser montiert waren. Zu heftigen Kontroversen in der Forschung wird die Innenausstattung beitragen. Während eine Schule von einer Aufeinanderfolge verschiedener Phasen religiöser Entwicklung ausgehen könnte, der gemäß zuerst eine Gottheit verehrt wurde, die an einem kreuzartigen Gebilde befestigt war, und sich später die Anbetung von Tieren (insbesondere Fischen) und Naturerscheinungen (insbesondere Bäumen und Regenbögen) durchsetzte, dürfte die zweite die Ansicht vertreten, daß die Funde auf eine synkretistische Spät- und Verfallsform hindeuten. Wofür vor allem die teilweise Aufgabe der Tempel oder deren Umwidmung durch den Einbau von Nahrungsverteilungsstellen sprechen würde, aber auch die Auslieferung an ganz andere Religionen, deren wichtigstes Symbol der Halbmond war, und die Reprimitivierung der Ausdrucksformen (Anhäufung von sinnlosen Kritzeleien, amorphen Gebilden und merkwürdigen Objekten, die die Außerirdischen – wenngleich zögernd – als Kinderspielzeug deuten).

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Die Ausstrahlung eines Interviews mit Allah Mohamed durch Télé France 1, der sich seit Anfang 2020 in Frankreich aufhält, hat eine gewisse Irritation ausgelöst, da der betreffende als „ehemaliger Übersetzer“ der französischen Armee in Afghanistan präsentiert wurde und einen entsprechenden Schutzstatus in Anspruch nimmt, aber außerstande war, ein einziges französisches Wort hervorzubringen.

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„Wir wissen nicht, was kommt. Wir wissen nur, was ewig zählt“ (Johannes Oerding).

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Der Passagier sitzt, steht, geht eine Stunde lang auf dem Bahnsteig umher und wartet auf den verspäteten ICE, der vor Ort eingesetzt wird. Er erfährt ungläubig, daß der Zug dieses Mal nur die Hälfte der Strecke zurücklegt, die eigentlich vorgesehen war. Der Speisewagen fehlt, der Hinweis auf die angezeigte Reihung führt in die Irre, da die planmäßige auf wundersame Weise wiederhergestellt wurde, die Reservierungsanzeigen sind ausgefallen, die Passagiere hetzen trotzdem hin und her über den Bahnsteig. Endlich sinkt man erschöpft auf seinen Platz, dankbar, daß es irgendwann losgeht und die Formulare für die Inanspruchnahme der Fahrgastrechte bei Gelegenheit der Fahrkartenkontrolle verteilt werden. Erstaunlich ist die Ruhe, die alle Beteiligten wahren. Aber dann erhebt sich plötzlich lautstarker, fast verzweifelter Protest: Kein WLAN!

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Der Aufwand, mit dem Rußland an den 800. Geburtstag Alexander Newskis erinnert, ist natürlich auf die Geschichtspolitik Putins zurückzuführen, der sich sowenig wie Iwan der Gestrenge (im Westen „der Schreckliche“) oder Peter der Große oder Stalin vor ihm für den Heiligen der Orthodoxie interessiert, sondern für denjenigen, in dem die „nationale Energie“ (Maurice Barrès) manifest wurde: den Rurikiden, Großfürsten und Krieger, der den Deutschen Orden in der Schlacht auf dem zugefrorenen Peipus-see besiegte. Allerdings trug die von Alexander Newski begonnene „Sammlung der russischen Erde“ stets dazu bei, daß die Nachbarvölker, die sich diesem Programm unterworfen und entsprechenden Pressionen ausgesetzt sahen, derlei Verehrung mit Vorbehalt sahen. Das gilt auch für die flächendeckend verbreiteten Alexander-Newski-Kathedralen und -Kirchen in Ländern des Baltikums, etwa Lettland. Als kleine Revanche hat man übrigens in Jurmala, vor den Toren Rigas, dafür gesorgt, daß die Alexander-Newski-Kirche des Ortes nicht mehr auf den Stadtplan paßt.

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Es ist natürlich kein Zufall, daß die Impfgegner in Frankreich den „Covidpaß“ als „l’Ausweis“ bezeichnen.

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Die Verwendung und Verballhornung des Liedes „Kein schöner Land in dieser Zeit“ für einen Wahlkampfspot der Grünen hat erwartbar linke Proteste ausgelöst. Zu Unrecht, wie man sagen muß, gehörte es doch zum üblichen Repertoire der FDJ-Singeabende. Davon abgesehen ist die Optik wichtiger als Wort oder Ton. Und die verfolgt die Absicht, uns klarzumachen, daß das Land, um das es hier geht, mit dem, was Deutschland seit je war, möglichst nichts zu tun haben soll: Es wird weiblicher, bunter, lockerer sein denn je – und die Zukunft gehört denen, die aussehen wie das niedliche People-of-Color-Mädchen, das man zum Schluß eingeblendet hat.

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„Die kommunistische Bewegung führte von Anfang an den Kampf um die Sprache und schätzte die marxistische Theorie unter anderem deshalb, weil sie sowohl für Freunde als auch Feinde leicht anwendbare Etiketten bereitstellte, um den Konflikt zwischen beiden zu dramatisieren. Diese Angewohnheit erwies sich als ansteckend, und so wurden alle folgenden linken Bewegungen von ihr infiziert. Tatsächlich ist die Transformation der politischen Sprache das wichtigste Erbe der Linken“ (Roger Scruton).

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 17. September in der JF-Ausgabe 38/21.