© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Scheitern in schönen Bildern
Kino nach Thomas Mann: Die „Felix Krull“-Adaption von Detlev Buck und Daniel Kehlmann ist kolossal mißlungen
Dietmar Mehrens

Er ist Thomas Manns Unvollendeter: Der Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ beschäftigte den Lübecker Nobelpreisträger ähnlich wie „Faust“ seinen Autor Goethe ein halbes Leben lang. Bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entstand das erste Buch, das sich Krulls Jugendjahren widmet. Es erschien 1922 unter dem Titel „Buch der Kindheit“. Mann ließ das Romanprojekt danach jahrelang liegen und brachte dessen erstes Teilstück erst kurz vor seinem Tod zum Abschluß. 1954 wurde „Der Memoiren erster Teil“ veröffentlicht. Dabei blieb es. 1955 starb der Autor von „Felix Krull“.

Thomas Mann läßt seinen Helden, einen charmanten Betrüger und Casanova, der in Paris als Hotelpage arbeitet, in einer Reihe von heiter-burlesken Episoden auf lauter schillernde Charaktere treffen. Diese sind Ausgangspunkt für Gespräche und Erörterungen, die der Schriftsteller in dem für ihn typischen spielerisch-ironischen Ton darbietet. Mit Frauen wie der Kloschüsselfabrikantengattin Madame Houpflé verbinden den verschlagenen Schönling vor allem erotische Abenteuer, mit den Männern, dem durch eine Mesalliance in Bedrängnis geratenen Marquis de Venosta etwa oder dem philosophisch beschlagenen Gesteinsforscher Kuckuck, Betrachtungen eher grundsätzlicher Art. Schließlich bittet der Marquis ihn um einen Rollentausch, damit er sich der unstandesgemäßen Liebe zu der Sängerin Zaza hingeben kann. Als falscher Marquis de Venosta reist Felix Krull nach Lissabon.

Nicht dramatischer als ein Knallgas-Puff im Chemieunterricht

Wie der andere große Schelmenroman jenes Jahrzehnts, „Die Blechtrommel“, stellt das Buch Filmemacher, die es fürs Kino adaptieren wollen, wegen seiner episodenhaften Konzeption vor gewaltige Herausforderungen: Sie müssen eine filmreife Essenz herausfiltern und diese dramaturgisch so anlegen, daß ein Spannungsanstieg spürbar wird. Volker Schlöndorff gelang dies 1979 mit seiner „Blechtrommel“ recht gut, indem er die zweite Romanhälfte komplett strich und die Handlung in der NS-Zeit kulminieren ließ.

Detlev Buck (Regie) und Daniel Kehlmann (Drehbuch), zwei Meister ihrer Zunft, sind dagegen bei dem Versuch der dramatischen Verdichtung des Stoffes grandios gescheitert, obwohl die Konzentration auf Krulls Paris-Abenteuer und die Reduktion seiner amüsanten Kindheitserlebnisse auf kurze Rückblenden durchaus zweckdienlich ist. Ebenso die Erweiterung der Figur der Zaza zum Zentralgestirn der Handlung. Im Film ist sie nämlich das Objekt der Begierde sowohl Felix Krulls als auch des Marquis de Venosta (David Kross), ohne daß letzterer davon weiß. Liv Lisa Fries, die Darstellerin der Zaza, die in der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ die Bereitschaft erkennen ließ, auch mal oben ohne durchs Szenenbild zu schleichen, was bei der Besetzung von „Felix Krull“ erkennbar ihr Schaden nicht war, soll für den dringend benötigten dramatischen Konflikt sorgen, auf den Thomas Mann dank seiner sprachlichen Virtuosität verzichten konnte. In Bucks Inszenierung aber fällt er nicht dramatischer aus als ein Knallgas-Puff im Chemieunterricht.

Und die Darsteller? David Kross’ Venosta ist ein Clown (ein Bajazzo, würde Thomas Mann sagen), Nicholas Ofczareks Oberkellner Stanko die witzlose Karikatur eines Heimatfilm-Bösewichts, Jannis Niewöhners Krull mit seinem debilen Dauergrinsen nur die Fassade einer Figur – kein Profil, keine Tiefe –, und Maria Furtwängler als Madame Houpflé stakst durch ihre Szenen, als wäre sie auf der Suche nach dem Notausgang zum nächsten „Tatort“, um sich dort den Traum von der Charakterdarstellerin ganz schnell abzuschminken.

Krull nach dem Dénouement des Beziehungsdreiecks Venosta – Zaza – Krull noch nach Lissabon zu begleiten, wo er auf Einladung seiner Zufallsbekanntschaft Professor Kuckuck (überzeugend: Joachim Król) verweilt, ist dramaturgisch Nonsens. Aber da die Episode nun mal in der Vorlage steht und Lissabon Garant für eine malerische Kulisse ist, hängt das Drehbuch sie noch dran und läßt den Film anschließend genauso offen enden wie Mann seine Vorlage.

Selbstverständlich darf die legendäre Musterung aus dem ersten Teil des Buches nicht fehlen. In dem Bewußtsein, daß Horst Buchholz in der Krull-Adaption von 1957 mit seiner Filmhistorie gewordenen Nachahmung eines epileptischen Anfalls nicht zu übertreffen sein würde, wagt Detlev Buck eine Ironisierung der Szene und vergeigt sie damit total – symptomatisch für den ganzen Film, der dank der gediegenen Inszenierung zwar wunderbar in vergangene Zeiten versetzt, aber einfach keine Sprache findet, um den Geist der Erzählung von Thomas Mann adäquat für das Kino von heute einzufangen.

Das Duo Buck/Kehlmann fand bei der Verfilmung von „Die Vermessung der Welt“ (2012), Kehlmanns kolossal erfolgreichem Roman, zueinander. Die kam zwar nicht sonderlich gut an, war aber immerhin immens horizonterweiternd und der Vorlage treu. „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist nichts von beidem. Trotzdem sollten Buck und Kehlmann ihre Zusammenarbeit keinesfalls beenden. Ihr nächster Film kann unmöglich noch mehr mißlingen.

Kinostart ist am 2. September 2021

 www.bavaria-film.de

Foto: Jannis Niewöhner verkörpert den Casanova  Felix Krull: Debiles Dauergrinsen