© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

In einer von Not und Elend geprägten Zeit
Eine sehenswerte Ausstellung im Dresdner Residenzschloß beleuchtet mit rund 150 Werken die Verbindung von Kunst und Krieg
Paul Leonhard

Mit spitzen Skelettfingern lose die Zügel seines Kleppers haltend reitet der Tod, den prächtigen Federbuschhelm eines Kriegsherren auf dem Schädel, über das Schlachtfeld – keinen Zweifel lassend, wer von 1618 bis 1648 auf deutschem Boden das Sagen hatte. Aber als Stefano della Bella seine Radierung schuf, war auch der Krieg zu Ende, waren alle Ressourcen verbraucht. Das Land konnte die Soldaten nicht mehr ernähren, und trotzdem fiel es schwer, Frieden zu schließen, zu viele Seiten mit zu unterschiedlichen Interessen waren involviert, zu groß war das Mißtrauen. Es ging um Politik, Religion, Hegemonie und klassische Gebietserweiterungen, um Interessen, die sich mitunter überschnitten und zu wechselnden Bündnissen führten. An all das erinnert Stefano della Bellas Werk „Der Tod reitet über ein Schlachtfeld“, das heute zum Bestand des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehört.

Überhaupt befinden sich im Depot und den zahlreichen Dauerausstellungen unzählige Objekte, die einen direkten Bezug zum Dreißigjährigen Krieg haben, so daß die Vorbereitung der aktuellen Sonderausstellung „Bellum et Artes. Sachsen und Mitteleuropa im Dreißigjährigen Krieg“ im Dresdner Residenzschloß einer „Entdeckungsreise in die eigene Sammlung“ gleicht, wie es der sich in den Ruhestand verabschiedende Direktor des Grünen Gewölbes und der Rüstkammer, Dirk Syndram, formuliert. Denn während die Kunstkammern von Heidelberg (1622), Mantua (1630), Ebrach, Mainz, Würzburg (alle 1631), München (1632), Stuttgart (1634/35) und zuletzt 1648 die kaiserlichen in der Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation in Prag geplündert wurden, häufte Sachsens Kurfürst Johann Georg I. weiterhin Kunstschätze an und vermochte es durch geschicktes Taktieren zumindest bis 1631 die sächsische Neutralität zu wahren und später die durch die Lande ziehenden marodierenden Truppen von seiner gesicherten Residenz Dresden fernzuhalten.

Am Ende ging Sachsen aus dem Krieg sogar mit territorialem Gewinn – den beiden Lausitzen – hervor. Seine Landeskinder dürften nicht ganz so glücklich über die politischen Erwägungen ihres Fürsten gewesen sein, denn nach dem kaiserlichen General Tilly verwüsteten die vom sächsischen Seitenwechsel brüskierten Schweden unter General Johan Banér 1634 das Land um so gründlicher.

Originale Exponate aus dem Dreißigjährigen Krieg

Elf Jahre später schloß der Kurfürst nach schweren Niederlagen mit den Schweden den Waffenstillstand von Kötzschenbroda, und der Tisch, auf dem das Schriftstück unterzeichnet wurde, soll sich noch immer in der dortigen Friedenskirche befinden. Die Kunstkammer also gerettet, das Land vergrößert, aber verschuldet, entvölkert und in seiner Entwicklung um 200 Jahre zurückgeworfen – die Bilanz des für seine Trunksucht berüchtigten „Bierjörge“ ist nur aus heutiger Sicht eine gute, denn dank dessen Sammelleidenschaft konnten die Ausstellungskuratoren aus dem vollen schöpfen: Grafiken, Ölgemälde, Münzen, Urkunden, Briefe, Ansichten von Schlachten und brennenden Städten sowie Kleidungsstücke des Kurfürsten. Lediglich an originalen Waffen fehlte es, die hatten die geschlagenen sächsischen Truppen auf dem Feld gelassen. Aber wozu gibt es die Esterházy-Sammlung auf Burg Forchtenstein im Burgenland. Die Dresdner Kuratoren durften sich reichlich aus ihr bedienen und warten gleich zum Auftakt der Schau mit einem breiten Arsenal an Felddegen, Hellebarden, Rüstungen, gläsernen Handgranaten, Radschloßpistolen, Kanonenkugeln, einer Truhe mit kompliziertem Schließmechanismus sowie einer Kanone auf – alles Originale aus dem Dreißgjährigen Krieg.

An einer opulenten Tafel werden den Besuchern die Hauptakteure des Krieges vorgestellt: das sächsische Kurfürstenpaar Johann Georg I. und Magdalena Sibylla, der „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz und seine Gemahlin Elisabeth Stuart, Maximilian I. von Bayern, Kardinal Richelieu, die Habsburger Kaiser Ferdinand II. und Ferdinand III. sowie der schwedische König Gustav II. Adolf und seine Tochter und Nachfolgerin Christina. Sie alle einte das Interesse an der Kunst, für die sie auch während des Krieges weiterhin hohe Summen ausgaben.

Es folgen rund 150 Werke unterschiedlichster Künstler, darunter die um 1628 entstandene „Allegorie auf den Krieg“ von Peter Paul Rubens. Dieser war zu jenem Zeitpunkt nicht nur als Maler ein vielbeschäftigter Mann, sondern auch als Diplomat. 1623 und noch einmal 1628 hatte er für Erzherzogin Isabella Friedensverhandlungen geführt. Beim zweiten Mal gewann er das Vertrauen des spanischen Königs, wurde Sekretär des Geheimen Rates und schließlich, nachdem er in Madrid mehrere Gemälde vollendet hatte, zu Verhandlungn mit dem englischen König nach London gesandt. Da diese mit einem Friedensvertrag zwischen Spanien und England endeten, schlug Karl I. von England Rubens zum Ritter. Einträglicher dürften aber die Aufträge gewesen sein, die Rubens als Maler in London erhielt.

Bekam der so Umworbene mit, daß um ihn herum unzählige Dörfer und Städte gebrandschatzt und die Bewohner zu Tode gefoltert wurden, daß in gezielten Plünderungsaktionen ganze Kunstsammlungen als Kriegsbeute quer durch Europa verfrachtet wurden und den heutigen Ruhm mancher europäischen Kunstsammlungen – wie etwa der schwedischen – begründeten? Die Dresdner Ausstellung beleuchtet die Rolle der Künste in einer von Krieg, Not und Elend geprägten Zeit und benennt das jahrhundertlange Trauma, das der Dreißigjährige Krieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen hinterließ und das erst durch die Schrecken des 1943 einsetzenden alliierten Bombenterrors gegen deutsche Städte und der folgenden gezielten Brandschatzungen ganzer Landschaften und des Massenmords an ihren Bewohnern durch sowjetische und polnische Truppen verdrängt wurde.

Die Künstler formulierten klare politische Botschaften

Neben eindringlichen Darstellungen von Plünderungen und gewaltsamen Übergriffen vermitteln Hörstationen mit authentischen Zeitzeugenberichten einen lebendigen Eindruck vom Schicksal der Bevölkerung. Die Künstler nutzten die Sprache der Bilder auch für eindringliche Friedensappelle und formulierten – wie Rubens – in ihren Werken klare politische Botschaften. Entsetzt von der ungeschönt dargestellten Brutalität zeigt sich Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, beim Anblick einer Szene, die einen Soldaten zeigt, der Menschenfleisch ißt – Künstler als Dokumentaristen des Schreckens.

Die Idee zu der Ausstellung sei ihm bei einem Besuch des Palais Waldstein im November 2017 in Prag gekommen, erzählt der scheidende Direktor Dirk Syndram, also in jener Stadt, in der der Dreißgjährige Krieg mit dem Prager Fenstersturz und dem Aufstand der protestantischen böhmischen Stände gegen den neuen König Ferdinand von Steiermark, der die Vorrechte der Stände aufheben, das Reich zentralisieren und rekatholisieren wollte, seinen Anfang nahm und die kurz vor dem endgültigen Friedensschluß noch von den Schweden im Auftrag ihrer Königin Christina gezielt geplündert wurde.

Im Prager Wallensteinpalais ist nicht nur ein mehr als sechs Meter breites Gemälde zu sehen, das vom Triumph des Mantuaner Herzogs Federico II. Gonzaga kündet, sondern auch die als Brunnenfigur 1599 geschaffene Venus mit einem Amorknaben, die im 17. Jahrhundert im Garten Albrecht von Waldsteins stand, bevor sie 1648 von den Schweden geraubt wurde und schließlich im 19. Jahrhundert in Stockholm zum Verkauf stand. Auf Vermittlung von Wilhelm von Bode, Generaldirektor der Berliner Museen, wurde sie von Johann II. von Liechtenstein erworben und nach Prag zurückgebracht, also von einem Angehörigen jenes Fürstentums, dessen Existenz die Tschechei noch immer leugnet, um nicht dem „deutschen“ Fürsten das durch die Beneš-Dekrete geraubte Eigentum zurückgeben zu müssen.

Die Dresdner Schau ist Bestandteil eines europäischen Forschungs- und Kooperationsprojektes, an dem elf Partner in acht Ländern beteiligt sind, die alle ihre eigenen Perspektiven auf den Dreißigjährigen Krieg widerspiegeln und für die nach Stationen in Prag, Innsbruck, Mantua, Danzig, Breslau, Görlitz, Stockholm und Madrid 2024 ein großes Finale im Haus für Europäische Geschichte in Brüssel geplant ist. Diese soll dann noch einmal beleuchten, welche Bedeutung Kunst, darunter auch die in Kriegen erbeutete, für die Bildung nationaler Identitäten hatte.

Die Ausstellung „Bellum et Artes. Sachsen und Mitteleuropa im Dreißigjährigen Krieg“ ist bis zum 4. Oktober im Dresdner Residenzschloß täglich außer dienstags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Das Begleitbuch mit 544 Seiten und etwa 470 Abbildungen kostet im Museum 29 Euro.

 https://gruenes-gewoelbe.skd.museum