© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Die Opferrolle bedienen
Islamistische Gruppierungen intensivieren ihre Propaganda in den sozialen Medien
Gil Barkei

Im Zuge ihrer Machtübernahme in Afghanistan nutzen die Taliban auch die sozialen Netzwerke. Bei ihrem Vormarsch wie bei ihrem weiteren Vorgehen informieren sie die Bewohner per WhatsApp über ihre Kontrollausübung in den Städten – eine psychologische Wirkung inklusive. Laut New York Times wurden seit dem 9. August mehr als 100 neue Facebook- und Twitter-Accounts aus dem Unterstützerumfeld der Taliban gegründet. Profilen wie „Ambassador of Islam“ folgen auf Twitter Zehntausende Nutzer, und auch der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, kommuniziert über Tweets und hat fast 350.000 Follower. Zudem nutzt das Regime offenbar Social-Media-Profile, um Gegner und Widerspruch ausfindig zu machen. Facebook, Instagram und Youtube haben mittlerweile reagiert und löschen Taliban-Inhalte. Twitter hält sich noch zurück – während Ex-US-Präsident Donald Trump weiterhin verbannt bleibt. 

Dabei muß man gar nicht zum Hindukusch blicken, um ein Erstarken der Islamisten auf den Online-Plattformen auszumachen. Der deutsche Verfassungsschutz warnt vor der Propaganda von Facebook- und Instagram-Seiten wie „Generation Islam“ oder „Realität Islam“. Letztere hat beispielsweise bei Facebook 39.000 und bei Instagram 21.000 Follower. „Generation Islam“ bietet zudem auf Telegram einen „GF History Channel“ mit „exklusiven Beiträgen zur vergessenen Geschichte des Islams“. Beliebte Themen bei beiden Angeboten: Ramadan, Konvertierungserlebnisse, Verschleierung, Sitten und Riten sowie wichtige Ereignisse bei der Ausbreitung der Religion. Im Gegensatz zu früheren Angeboten versucht die Szene aber nicht mit einschüchternden Gewaltdarstellungen Angst zu verbreiten. Die neue, subtilere Taktik besteht darin, mit reichlich Tränendrüsengespür gegen die angeblich grassierende Islamfeindlichkeit zu kämpfen. Linksliberale Medien und Parteien, die nicht müde werden, ein Bild von vermeintlich um sich greifender Islamophobie in der Bundesrepublik zu zeichnen, spielen dem in die Hände. 

Jeder durch die Mainstreammedien oder in den sozialen Medien hochgekochte anti-islamische Vorfall wird sofort professionell mit Stellungnahmen, Zitate-Kacheln und Beiträgen aufgegriffen. So fordert einer der Präsentatoren von „Realität Islam“, Suhaib Hoffmann, auf Youtube angesichts des zaghaften Kampfes Österreichs gegen den politischen Islam als Reaktion auf den islamistisch motivierten Terroranschlag am 2. November 2020 in Wien: „Wehret den Anfängen“. Bundeskanzler Sebastian Kurz hetze „schon seit mehreren Jahren gegen das islamische Wertesystem“ und versuche „dieses zu kriminalisieren“.

Nähe zur radikalen Hizb-ut-Tahrir-Bewegung

Auch der momentane linke Bildersturm gegen das koloniale Zeitalter wird dankend ausgenutzt. Generation Islam gebraucht dafür den Hashtag #VerbrechenDerKolonialisten. Für einen Pro-Verhüllungs-„Twittersturm“ am 2. Juni gab es für die Anhänger eine Kampagnen-Gebrauchsanleitung gleich dazu: „1. Erstellt Euch einen Twitter-Account, 2. Folgt Generation Islam, Ahmad Tamim und Umar Qadir auf Twitter, 3. Nutzt den Hashtag #NichtOhneMeinKopftuch und teilt Twitter und den Verbotsbefürwortern Eure Meinung mit, ruhig auch schon vor Sonntag. Schreibt euch warm für den Storm. 4. Am Sonntag ab 18 Uhr zieht trotz sonnigen Wetterprognosen ein Twitter-Storm über Deutschland hinweg.“

Während rechte Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung gnadenlos von den sozialen Medien zensiert werden, stößt das Streben „für die Bewahrung der islamischen Identität“ (Realität Islam) bei den großen Big-Tech-Firmen kaum auf Gegenwehr. Und das, obwohl der Bundesverfassungsschutz bei den Gruppen eine „ideologische Nähe“ zur islamistischen Hizb ut-Tahrir (arab. für „Partei der Befreiung“) sieht, für die seit 2003 in Deutschland ein Betätigungsverbot gilt. Im Verfassungsschutzbericht 2020 steht dazu: „Ziel der panislamisch ausgerichteten Hizb ut-Tahrir (HuT) ist die ‘Befreiung’ aller Muslime von ‘Unterdrückung’ und ihre Vereinigung in einem weltweiten Kalifat. Aus Sicht der HuT haben ‘unterdrückte’ Muslime das Recht auf ‘Selbstverteidigung’ mit allen Mitteln. Als Konsequenz werden Gewalttaten anderer islamistischer Gruppierungen oftmals gebilligt.“ 

Die Online-Präsenz bei Youtube und Instagram mit koordinierten Offline-Aktionen zu verbinden, das versucht die Organisation „Muslim Interaktiv“, die im Herbst 2020 vor dem Brandenburger Tor und im Mai dieses Jahres auf dem Hamburger Steindamm Dutzende in schwarzen Kapuzenpullovern gekleidete junge Männer versammelte. 

In einem Video spielen die Macher gern „mit offenen Karten“: „Unser Ziel ist es, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen, vor allem Themen, die uns Muslime betreffen. Wir versuchen die Kraft und die Stärke der muslimischen Jugend zu aktivieren und wollen die zum Teil komplizierten gesellschaftlichen und politischen Themen aufdecken und sie mitgestalten.“ Politik und Medien sollen dabei „eine andere Umgangsform“ mit Muslimen „an den Tag legen“.

Foto: Aktion von „Muslim Interaktiv“: Kampf gegen angeblichen Islam-Haß