© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Niemand vor Ort
Afghanistan: Wie soll man aus einem Land berichten, in dem keine eigenen Journalisten mehr sind?
Gil Barkei

Sie gehörte zu den letzten westlichen Journalisten in Afghanistan und berichtete mit schwarzem Kopftuch direkt von den Straßen Kabuls: Clarissa Ward. Kürzlich wurde die CNN-Reporterin dann doch ausgeflogen. Die Lage in Afghanistan stellt die Medien vor eine große Herausforderung: Wie soll man über ein Top-Thema aus einem Land berichten, in dem man keine eigenen Journalisten mehr hat? 

Selbst ARD und ZDF haben (aus nachvollziehbaren Sicherheitsgründen) keine Korrespondenten vor Ort und müssen auf ihr Auslandsstudio in Neu-Delhi und dort zusätzlich angestellte afghanische Studenten und deren Netzwerk im Heimatland zurückgreifen. Dabei wollten einige Pressevertreter in Afghanistan bleiben, sie wurden aber von den westlichen Truppen gedrängt, das Land zu verlassen. Bild-Vize Paul Ronzheimer, der mehrfach vom Hindukusch berichtet hatte, spricht diesbezüglich sogar von einem „krassen Angriff auf die Pressefreiheit“. „Unter Androhung von Militärpolizei zwingt US-Militär uns und zehn weitere internationale Journalisten, Flieger nach Doha zu nehmen. Obwohl wir einen gesicherten Weg raus aus dem Airport hatten Richtung Stadt“, schrieb er auf Twitter. Auch Zeit-Reporter Wolfgang Bauer, der freie Zeit-Fotograf Andy ­Spyra und Spiegel-Reporter Christoph Reuter wurden gegen ihren Willen ausgeflogen

Bilder und Informationen kommen so hauptsächlich über internationale Nachrichtenagenturen wie Reuters, soziale Medien oder von afghanischen Anbietern. Doch für deren Mitarbeiter ist die Situation ebenfalls gefährlich. So haben die Taliban laut Deutscher Welle die Angehörigen von DW-Journalisten gezielt aufgesucht und einen getötet. Auch der Übersetzer Amdadullah Hamdard, der unter anderem für Die Zeit arbeitete, sei von den Islamisten ermordet worden. Die Deutsche Welle, zahlreiche andere Medien von FAZ bis Spiegel sowie die dpa und Reporter ohne Grenzen fordern daher von der Bundesregierung ein Visa-Notprogramm für afghanische Mitarbeiter. Diese seien von „Racheakten“ bedroht, heißt es in einem offenen Brief. 

„Deutschland darf nicht tatenlos zusehen, wie unsere Kollegen verfolgt oder gar ermordet werden“, betont auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall.