© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/21 / 03. September 2021

Ein konservativer Don Quijote
Nils Lange porträtiert den Journalisten Matthias Walden in den Zeiten der Umbrüche in der Bundesrepublik
Eberhard Straub

Von der Pressefreiheit ist heute ununterbrochen die Rede, aber nicht von Journalisten, die ihr erst Substanz und Ansehen verleihen. Die wenigsten Themen, auf die von den Medien eine möglichst aufgeregte Aufmerksamkeit gelenkt wird, sind noch unmittelbar mit der Autorität eines Redakteurs verbunden. Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn im sogenannten öffentlichen Leben geht es längst nicht mehr um Argumente und deren formale Qualität, sondern um Haltung und unbedingte Vorherrschaft einer Meinung, die von Parteien, Regierungen und den mit ihnen verbundenen Organisationen und Organen vor jedem Widerspruch gesichert wird. Das war nicht immer so. Zur Geschichte der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik gehörten zahlreiche allgemein beachtete Journalisten, auf deren Urteil besonderer Wert gelegt wurde. Einer von ihnen war Matthias Walden. An ihn erinnert Nils Lange mit seiner Biographie „Ein Leben für die Freiheit“.

Matthias Walden, eigentlich Otto Eugen Baron von Saß, verbrachte seine Jugend während der Zeit des Nationalsozialismus und unmittelbar nach dem Krieg in Dresden. Er hatte also frühe Erfahrungen mit zwei totalitären Systemen gemacht. 1953 wechselte er aus der DDR nach West-Berlin und blieb von da an bis zu seinem Tod 1984 immer ein Berliner, den Bonn als Ort oder gar als politisches Programm nicht sonderlich froh stimmte. Dabei war er in mancher Hinsicht ein überzeugter Bonner im Sinne einer politischen Gesinnung. Denn er verstand Freiheit und Demokratie als Zwillinge. Nach dem gescheiterten, abscheulichen Nationalsozialismus hielt er nichts für so nichtswürdig und gefährlich wie den Kommunismus und dessen sowjetische Führungsmacht. Deshalb zweifelte er nie am Sinn der Westbindung und an der bedingungslosen Treue zu den USA, dem Bollwerk der Freiheit und des Westens als einer Gemeinschaft der Freien. Doch er war auch ein Deutscher und kein Rheinbündler oder ideologischer Westdeutscher.

Von Linken und Liberalen als „Kalter Krieger“ beschimpft

Das führte bei ihm allmählich zu manchen Spannungen und Enttäuschungen. Mit Sorge beobachtete er die in der Bundesrepublik zunehmende Bereitschaft, sich mit der Sowjetunion auf eine friedliche Koexistenz einzulassen. Die von Wünschbarkeiten geprägte Entspannungspolitik im Westen beunruhigte den Parioten, da sie den Eindruck erwecken mußte, das entscheidende Ziel deutscher Poltik zu vernachlässigen oder gar aufzugeben, nämlich die von den Kommunisten unterdrückten Deutschen und deren Nachbarn endlich zu befreien. Das setzte für ihn einen starken Westen voraus, der nicht faule Kompromisse suchte, um sich ein bequemeres Leben zu ermöglichen, sondern an seiner Sendung festhielt und entschlossen für die Freiheit stritt. Walden beharrte – im Gegensatz zu vielen Politikern – auf Grundsätzen. Das führte ihn in die Nähe Axel Springers. Der Journalist nahm es in Kauf, ab 1968 wie Springer und sein Verlag von sogenannten Linken und Liberalen als unverbesserlicher „Kalter Krieger“, als Rechter oder gleich als „Faschist“ verdächtigt zu werden.

Den leidenschaftlichen Freund der Freiheit begreift Nils Lange als Meinungsjournalisten. Dieser modische Begriff unserer Tage ist völlig untauglich für frühere Zeiten. Matthias Walden konnte, ob als Redakteur im RIAS, beim Sender Freies Berlin, als Kolummnist für Quick, Welt am Sonntag oder Die Welt scharfzüngig und prägnant formulieren im Dienste einer Sache, aber nicht um einer Meinung zum Erfolg zu verhelfen. Er kommentierte politische, soziale oder kulturelle Entwicklungen und fällte Urteile mit Sachverstand, der ohne Kenntnisse nicht auskommt und auf Deutlichkeit angewiesen ist. Ein Redakteur, der seine Aufgabe darin verstanden hätte, vor allem Meinungen zu verstärken, statt zu unterrichten und zu informieren, hätte damals ganz einfach seinen Beruf verfehlt. Außerdem war stets ein beachtliche Zahl von Journalisten „Akademiker“, Bildungsbürger mit Hochschulabschluß, die dazu rieten, bei allen Rücksichten auf die Zwänge unter dem Druck der Aktualität Umsicht und Gründlichkeit nicht außer acht zu lassen.  

Matthias Walden hatte kriegsbedingt nur eine lückenhafte Schulbildung und versuchte sich gleich nach dem Krieg als Journalist, weil er schließlich in sehr schwierigen Nachkriegszeiten von irgend-etwas leben mußte. Über seine Bildung weiß Nils Lange nicht viel zu berichten. Immerhin stammte der junge Baron aus einer Familie mit allerlei schöngeistigen Interessen. Ein bewegliches und geselliges Temperament, das reden und schreiben möchte, wird ohnehin trotz oder wegen der aufgeregten Zeiten einiges gelesen und gehört haben. Ein ähnlicher breit gebildeter Autodiktat war Wolf Jobst Siedler, auch aus guter Familie kommend, der als Journalist begann und dann ein großer Verleger im Sinne letzter Bildungsbürgerlichkeit wurde. Nils Lange unterstellt Walden manche Vertrautheit mit US-amerikanischen Politologen oder Soziologen, um den Liberalen, den Freund der Freiheit, besser charakterisieren zu können. Ganz zeitgemäß weiß er gar nicht, daß es bereits damals bemerkenswerte freiheitliche Traditionen unter Deutschen gab. Deutschland war wahrlich kein Entwicklungsland, das erst von US-Amerikanern befreit werden mußte. Diese sprachen ja auch von Umerziehung und gerade nicht von Freiheit, über deren Inhalt gemäß deutscher Überlieferung der Freie selbst bestimmt.

Deutsche verfügten nach 1945 noch über genug selbständige politische, philosophische und historische Denker, diskutierten leidenschaftlich untereinander – und beachteten wie eh und je Franzosen, Spanier und Italiener. José Ortega y Gasset oder Raymond Aron fanden mehr Beachtung als  etwa Arthur M. Schlesinger jr., den nur beamtete Politologen lasen, aber keine gebildeten Leute, zu denen auch Journalisten noch gehören wollten. Sie orientierten sich auch nicht, wie Nils Lange suggeriert, am amerikanischen Journalismus, den sie im übrigen kaum kennen konnten, weil mit ihm höchstens vom Hörensagen vertraut, sofern sie nicht als Stipendiaten in die USA geschickt worden waren. Deutsche hatten ihre eigenen Vorstellungen vom Beruf des Journalisten, erinnerten sich großer Vorbilder, und die jungen Talente mußten sich mit den alten, erfahrenen Redakteuren auseinandersetzen, die in ganz unterschiedlichen Systemen gearbeitet hatten und jetzt die Zeitungen leiteten.

Die jungen Leute, ehemalige Hitlerjungen und Flakhelfer, die Nils Lange in Übereinstimmung mit anderen Geschichtskonstrukteuren als eine Generation ’45 zusammenfaßt, schauten gar nicht ununterbrochen ins ferne Land der Verheißung, sondern richteten sich ganz praktisch nach den Gegebenheiten in ihrer konkreten Situation, um Karriere machen zu können. Obschon beflissene „Antifaschisten“, beschäftigten sie sich nicht sonderlich mit der Vergangenheit ihrer älteren Kollegen, die gelernt hatten, sich anzupassen und deshalb ohne Schwierigkeiten in die neuen Verhältnisse hinüberglitten. 

Als Mahner vor dem Zeitgeist stand er zuletzt auf verlorenem Posten

Matthias Walden beunruhigte es zuweilen, daß in Verwaltung oder Justiz viele weiter ihren Dienst taten, die auch während des Nationalsozialismus mehr oder weniger unauffällig ihre beruflichen Aufgaben erfüllt hatten. Aber er legte doch immer Wert darauf, daß die Bundesrepublik ein zuverlässig demokratischer Staat sei und Loyalität erwarten dürfe, die viele Intellektuelle ihr verweigerten. Mit Heinrich Böll, der sich wegen doppeldeutiger Aussagen zum Umfeld der Terroristen von Mat-thias Walden falsch verstanden fühlte, führte er lange Prozesse. Dem Journalisten ging es um den Staat, den er weiterhin mit seinen Institutionen als überparteiliche Einrichtung gewürdigt wissen wollte, obschon ihm gar nicht entgehen konnte, wie sehr Parteien und Verbände sie durchdrangen und ihren Interessen unterwarfen. So wurde ihm die Bundesrepublik, die er stets gegen übertriebene Vorwürfe verteidigte, zu einem recht problematischen Land, ganz unabhängig von allen Fragen und Problemen, die sich aus der deutschen Katastrophe ergeben hatten. Ihm mißfiel es, daß ununterbrochen alte Zöpfe abgeschnitten werden sollten und ein Modernisierungsschub auf den anderen folgte, weshalb der Staat, das Symbol des Gleichgewichts, zur Verkörperung der Unruhe und Atemlosigkeit wurde.

Ihm schien es geboten, die Beschleuniger, die überall am sausenden Webstuhl der Zeit dafür sorgten, daß bald gemeinhin Rasten mit Rosten verwechselt wurde, zu mahnen, Bewährtes zu bewahren, statt es leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Freilich wurde es bei den Umbrüchen und Zusammenbrüchen allmählich sämtlicher Lebensstile und Denkgewohnheiten seit 1968 nahezu unmöglich, überlieferte Formen in Schutz zu nehmen, die, weil alt, als veraltet galten. So stand Matthias Walden zuletzt auf verlorenem Posten, ganz auf sich gestellt, doch er stritt für Tugenden, die indessen als Vorurteile ausgegeben wurden. Freiheit braucht Ordnung. Das war längst nicht mehr selbstverständlich. Matthias Walden lebte wie der große und mutige Don Quijote für die besiegte Sache.

Nils Lange: Matthias Walden. Ein Leben für die Freiheit. be.bra Wissenschaftsverlag, Berlin 2021, gebunden, 620 Seiten, 56 Euro

Foto: Matthias Walden (1927–1984) beim Springer-Verlag: Er formulierte scharfzüngig und prägnant im Dienste einer Sache, aber nicht um einer Meinung zum Erfolg zu verhelfen