© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Rebekka Müller führt Volt in die Bundestagswahl – die neue Partei des gehobenen grünen Akademiker-Milieus.
Auf zum Weltstaat
Sandro Serafin

Wer wissen will, wofür die junge Kleinpartei Volt steht, die erstmals zur Bundestagswahl antritt, muß nur einen Blick auf die Gestaltung des Wahlprogramms werfen: Gelb, Grün und Rot vor violettem Hintergrund hat die Partei als Leitfarben gewählt. Auf den gut 170 Seiten findet man Werbung für „Unternehmer*innentum“ in FDP-Manier ebenso wie die grüne Forderung nach „Klimaneutralität“, die Linken-Idee eines Mindestlohns von 13 Euro und andere Schmankerl wie den Kampf gegen „anti-asiatischen Rassismus“ – selbstverständlich alles in „geschlechter-inklusiver Sprache“.

„Wir haben Elemente aus dem liberalen, ökologischen und sozialen Spektrum“, erklärt Spitzenkandidatin Rebekka Müller. Die 32jährige Ökonomin hat in einem Start-up, in der Industrie und der Reisebranche, teils in leitender Funktion, gearbeitet. 2019 stieß sie zu Volt und half, die Partei im Folgejahr in den Kölner Stadtrat zu führen. So entdeckte sie ihr Herz für politische Arbeit, denn richtig politisiert habe sie sich erst in den vergangenen zwei Jahren, sagt sie. 2020 hängte die gebürtige Berlinerin ihren Job an den Nagel und tourt nun als „Vollzeit-Spitzenkandidatin“ durch die Lande, fordert unter anderem Fassadenbegrünung, Tempo 30 und bezahlbaren Wohnraum. 

Die Akademikerin mit internationalem Beruf wohnt in der Kölner Innenstadt, sieht sich als „leidenschaftliche Radfahrerin“ und hat zuvor grün gewählt. Damit und mit ihrem Bekenntnis, einst wöchentlich durch Europa gejettet zu sein, bis sie sich über Nachhaltigkeit Gedanken machte, dürfte Müller die Kernklientel ihrer Lifestyle-Partei treffend repräsentieren. Durchschnittsalter der rund 3.000 Mitglieder: 33 Jahre.

„Wir sind die einzige wirklich paneuropäische Partei“, schwärmt Rebekka Müller; Volt trifft einen Nerv.

Gegründet wurde Müllers Truppe 2017 am Tag des Brexit-Antrages als „anti-populistische“ Partei: „Trump, Brexit, immer stärkere nationale Tendenzen – darauf müssen wir eine grenzübergreifende Antwort geben“, erklärt sie. So fordert Volt eine „föderale Europäische Republik“, schwärmt gar von einem „Weltparlament“ im Rahmen der Uno. „Eine Realpolitikerin, die Träume hat“, nennt sich Müller.

Doch gibt es keine inhaltliche Lücke, in die Volt stoßen könnte. So versucht die Spitzenkandidatin durch eine neue Art Parteipolitik zu überzeugen: „Wir sind die einzige wirklich paneuropäische Partei“, denn inzwischen sei man in 29 europäischen Ländern aktiv. Daher auch der physikalische Name, der in allen Sprachen verstanden wird. Die 29 „Sektionen“ vereine ein gemeinsames Grundsatzprogramm, aus dem man jeweils nationale Politiklösungen ableite.

„Evidenzbasiert“ ist Müllers großes Schlagwort, sie will auf „die Wissenschaft“ hören und liegt auch damit voll im Trend – Alleinstellungsmerkmal erneut unklar. Mit lila Wahlplakaten und hippen Ausdrücken wie „City-Lead“ statt „Stadtverbandsvorsitzender“ trifft Volt gleichwohl einen Nerv: Einen Vertreter hat die Partei bereits im EU-Parlament und mehrere in Stadtparlamenten, die dort – so wie Müller in Köln – mitunter auch mitregieren. Für ein halbes Prozent, das nötig ist, um in den Genuß staatlicher Parteienfinanzierung zu kommen, könnte es am 26. September wohl reichen. Stimmen, die am Ende vor allem bei den Grünen fehlen dürften.