© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Land unter
Hochwasser: Das grobe Aufräumen ist bewältigt, das politische Reinemachen nicht
Peter Möller

Es ist noch nicht vorbei. Zwar sind die Bilder der katastrophalen Zerstörungen in den Flutgebieten Nordrhein-Westfalens und Rheinland-Pfalz aus den Hauptnachrichtensendungen verschwunden, doch in den betroffenen Regionen werden die Folgen der Naturkatastrophe noch auf Monate das Leben der Menschen bestimmen. Derzeit werden etwa für die Bewohner des besonders stark getroffenen Ahrtals Notquartiere für die Wintermonate gesucht. Denn selbst wenn die Häuser noch bewohnbar sind, fehlen häufig immer noch Strom, Wasser und teilweise der Anschluß an das Erdgasnetz. Die betroffenen Menschen sollen daher in der kalten Jahreszeit in Ferienwohnungen oder Pensionen unterkommen.

„Heillose Überforderung der Länder und Landkreise“

Neben den Planungen für den Wiederaufbau der Infrastruktur läuft auch die politische Aufarbeitung des Juli-Hochwassers bereits auf Hochtouren. Am Dienstag beschloß der Bundestag auf einer Sondersitzung ein Aufbauhilfegesetz, durch das ein „So­li­da­ri­täts­fonds“ mit bis zu 30 Mil­li­ar­den Euro eingerichtet wird, um die Folgen der Katastrophe zu bewältigen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums erfolgt die Verteilung der Mittel in einem ersten Schritt durch einen festen Schlüssel, basierend auf den ersten Schadenserhebungen der betroffenen Länder. „Danach entfallen auf Rheinland-Pfalz 54,53 Prozent, auf Nordrhein-Westfalen 43,99 Prozent, auf Bayern 1 Prozent und auf Sachsen 0,48 Prozent der für die Länderprogramme vorgesehenen Mittel des Fonds“, teilte das Ministerium mit.

Doch wie konnte es überhaupt zu der Katastrophe kommen, der mindestens 189 Menschen zum Opfer gefallen sind? Diese Frage beschäftigt die Öffentlichkeit vor allem in den besonders schwer getroffenen Bundesländern.

In Rheinland-Pfalz soll nach dem Willen der Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen nun eine Enquete-Kommission des Landtages Lehren aus den Überflutungen ziehen. Vermutlich nicht vor Mitte 2023 wird dieses Gremium dem Parlament ihren Bericht vorlegen. Daran, daß die Enquete-Kommission substantielle Antworten geben wird, gibt es indes nicht nur von seiten der Opposition Zweifel. Dabei wird auf den sehr weit gefaßten Einsetzungsantrag der Kommission verwiesen, in dem viel von Optimierung und Weiterentwicklung beim Katastrophenschutz die Rede ist und Empfehlungen für den Bevölkerungsschutz gefordert werden, weniger aber über politische Verantwortung zu lesen ist. Daher wird von der Opposition bereits die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vorbereitet, der für die Landesregierung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) weit unangenehmer werden könnte als die Enquete-Kommission.

Auch in Nordrhein-Westfalen läuft die politische Aufarbeitung der Flutkatastrophe, die in dem Bundesland 49 Menschenleben gefordert hat und Schäden in einer Höhe von mindestens 13 Milliarden Euro verursacht hat. Hier sind vor allem Umweltministerin Ursula Heinen-Esser und Innenminister Herbert Reul (beide CDU) in den Fokus geraten. Die Frage lautet: Wer wußte wann von der drohenden Katastrophe und hat wann wen informiert? Nach Angaben der Landesregierung hat Heinen-Esser bereits Stunden vor den folgenreichen Unwettern ihren Urlaub unterbrochen und sich mit den Experten ihres Ministeriums in Verbindung gesetzt. Innenminister Reul sei laut einem Bericht an den Landtag am Tag danach aktiv geworden und habe seinen Urlaub ebenso wie Heinen-Esser abgebrochen. Damit will die Landesregierung von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet dem Vorwurf der Opposition entgegentreten, das Land habe trotz der Warnungen der Wetterdienste vor Starkregen nicht rechtzeitig gehandelt. Dennoch bleiben weiter Zweifel am Informationsfluß innerhalb der Landesregierung. Die Fraktionen von Grünen und AfD haben daher unabhängig voneinander die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gefordert.

Mit einer vom Innenpolitiker Martin Hess initiierten Kleinen Anfrage hat die AfD-Bundestagsfraktion auf nationaler Ebene versucht, die Verantwortung der Bundesregierung zu klären. In ihrer Antwort, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, weist das zuständige Bundesinnenministerium indes den Bundesländern die Verantwortung zu. „Gemäß der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung liegt der Katastrophenschutz in der Zuständigkeit der Länder sowie der Landkreise und kreisfreien Städte als untere Katastrophenschutzbehörden“, heißt es in der Antwort. Dies gelte unabhängig vom Ausmaß des Ereignisses und umfasse auch die Warnung der Bevölkerung vor Katastrophen. Der Bund könne mit der Bundeswehr, der Bundespolizei und dem Technischen Hilfswerk lediglich auf Anforderung der vor Ort zuständigen Behörden Amtshilfe leisten.

Hess hält diese Antwort für unzureichend. „Als zahlreiche Bürger im Hochwasser ihr Leben oder ihr Vermögen verloren, war das politische Berlin im Tiefschlaf. Die Bundesregierung versteckt sich hinter Kompetenzen“, kritisiert Hess gegenüber der jungen freiheit die Antwort der Bundesregierung. Sie wolle deshalb keine stärkeren Bundeskompetenzen für den Bevölkerungsschutz, weil sie sonst Verantwortung übernehmen und handeln müsse. „Genau das wäre aber dringend nötig, wie die heillose Überforderung der Länder und Landkreise mit der Katastrophenhilfe gezeigt hat.“





Plünderungen

Laut einer Antwort von Nordrhein-Westfalens Innenministerium auf eine Anfrage der AfD-Landtagsfraktion registrierten die Kreispolizeibehörden in 24 vom Hochwasser betroffenen Städten 193 Plünderungen (Diebstahl, besonders schwerer Diebstahl, Einbruch, schwerer Bandendiebstahl und Unterschlagung), von denen 27 als Versuch gewertet wurden. Der Schaden belaufe sich derzeit geschätzt auf rund eine Viertelmillion (227.000) Euro. Die Polizei registrierte 145 Tatverdächtige zwischen 12 und 69 Jahren. Die mit Abstand größte Gruppe bildeten dabei Tatverdächtige mit rumänischer Staatsbürgerschaft. Von ihnen zählte die Polizei insgesamt 52. Auf Platz zwei werden 27 deutsche Tatverdächtige aufgelistet. Hierunter wurden allerdings auch alle mutmaßlichen Täter aufgelistet, die neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit haben. Es folgen zwölf türkische Tatverdächtige sowie je sieben bulgarische und syrische, des weiteren Serben, Albaner und Kosovaren. Somit hatten von 145 Tatverdächtigen 118 keine deutsche Staatsangehörigkeit. Das entspricht rund 81 Prozent. (krk)

Foto: Baustellen im Überschwemmungsgebiet in Rech an der Ahr: „Hinter Kompetenzen versteckt“