© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Ländersache: Niedersachsen
Von der Weser bis zur Elbe
Christian Vvollradt

Ganz Deutschland richtet seinen Blick auf die Bundestagswahl. Ganz Deutschland? Nein, für knapp 6,5 Millionen Einwohner zwischen Harz und Nordsee – darunter auch etwa 316.800 EU-Bürger ohne deutsche Staatsangehörigkeit sowie rund 375.000 Erstwähler ab 16 Jahren – ist bereits der kommende Sonn- ein Wahltag. In 2.107 kommunalen Vertretungen, wie Orts-, Stadt-, Gemeinderäten und Kreistagen müssen die Mandate neu verteilt werden. Dazu kommen 280 Kommunen und 21 Landkreise, die Bürgermeister beziehungsweise Landräte wählen, elf Städte küren ihren neuen Oberbürgermeister, darunter Braunschweig, Göttingen, Wolfsburg, Oldenburg, Osnabrück und Lüneburg. 

Alles in allem treten über 70.000 Kandidaten an. In manchen Wahllokalen müssen die Helfer jedem Urnengänger bis zu fünf großformatige Zettel zum Ankreuzen in die Hand drücken. Die Region Hannover wählt zudem einen neuen Regionspräsidenten, in der Landeshauptstadt selbst wird dagegen kein neues Oberhaupt gewählt. Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay trat erst Ende 2019 seinen Posten an, nachdem sein Vorgänger Stefan Schostok (SPD) im Zuge der sogenannten Rathaus-Affäre zurücktreten mußte (JF 26/18). Für die Sozialdemokraten war dieser Machtverlust nach 70 ununterbrochen roten Jahren an der Stadtspitze ein Schlag ins Kontor. Um so mehr hoffen sie, am Sonntag die Mehrheit im Stadtrat zu erobern. Der aktuell günstige Bundestrend könnte dabei helfen, außerdem blättert bei Onay bereits der grüne Lack etwas ab. Traditionell „tickt“ das immer noch ländlich geprägte Niedersachsen bei allen regionalen Unterschieden mehrheitlich schwarz. Genosse Trend, so hofft die SPD, könnte das jetzt ändern. 

Dabei stehen vor allem aus Altersgründen ohnehin viele Wechsel an. In mehreren Großstädten treten die sozialdemokratischen Amtsinhaber nicht mehr zur Wiederwahl an, etwa in Braunschweig, Göttingen und Wolfsburg. Am VW-Standort mit seiner gewerkschaftlichen Dominanz hat es die CDU eher schwer, ihr Kandidat Dennis Weilmann ist jedoch auch aufgrund seiner Erfahrung als Erster Stadtrat nicht chancenlos. In Braunschweig, wo auf den CDU-Konservativen Gert Hoffmann (JF 25/19) 2014 der Sozialdemokrat Ulrich Markurth folgte, der nicht mehr antritt, unterstützt die Union gemeinsam mit FDP und Volt den parteilosen Landwirt Kaspar Haller. Der Trend zu Kandidaten ohne eigenes Parteibuch verstärkt sich. Die AfD hofft, trotz der Turbulenzen innerhalb des Landesverbands, ihre kommunale Verankerung stabilisieren zu können. Mancherorts hatte die Partei Schwierigkeiten, ausreichend Bewerber aufzustellen. 

Zudem beklagten AfD-Kandidaten, sie seien zu einigen Wahl-Podien nicht eingeladen worden. Unterdessen sind auch erste Pannen entdeckt worden. In Göttingen bekamenWahlberechtigte ihre Unterlagen doppelt, andere erhielten falsche Anleitungen für die Briefwahl. Inzwischen habe man das korrigiert, versichert die Verwaltung. Pech hatten Briefwähler in Gifhorn. Auf über 2.000 Zetteln waren statt der üblichen drei nur zwei Felder zum Ankreuzen gedruckt worden. Wem das nicht aufgefallen war, hat möglicherweise Stimmen „verschenkt“.