© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Hans im Glück
Wahlkampf in Südthüringen: Wie Hans-Georg Maaßen trotz Skepsis in der eigenen Partei um Wähler wirbt
Hinrich Rohbohm

Verstohlen blicken sich Passanten nach ihm um. Zu jenem Mann mit den graugelockten Haaren und markanter Brille, der sich gerade mit einigen Flyern in der Hand ausgerüstet im Gespräch mit potentiellen Wählern befindet. „Das ist er“, flüstert ein Mann seiner Frau zu, als beide am Infostand der CDU in der Fußgängerzone von Suhl vorbeigehen. Sein Gesicht wissen mittlerweile viele im südthüringischen Bundestagswahlkreis 196 zuzuordnen.

Dabei ist Hans-Georg Maaßen kein gebürtiger Thüringer. Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz stammt aus dem tiefsten Westen der Republik. In Mönchengladbach geboren und aufgewachsen, studierte er in Köln und Bonn Rechtswissenschaften. Ende der siebziger Jahre schloß er sich der CDU an, vor deren Infostand er nun um die Stimmen der Südthüringer wirbt. Ein langjähriger Leiter einer bedeutenden Behörde, sozialisiert im westdeutschen Milieu, umstritten in der eigenen Partei, der nun in einem Wahlkreis der Ex-DDR kandidiert. Ausgerechnet im von der Linkspartei regierten Thüringen. Kann das gutgehen?

Die vier Südthüringer CDU-Kreisverbände haben diese Frage mit einem Ja beantwortet, als sie Maaßen am 30. April dieses Jahres mit deutlichen 86 Prozent der Stimmen trotz Gegenkandidaten für den Bundestag nominierten. Auf Landes- und Bundesebene verfolgt man seine Kandidatur mit Argusaugen, Skepsis und Neugier. Mit Argusaugen und Skepsis, weil Maaßen immer wieder mit provokanten Aussagen für bundespolitische Schlagzeilen sorgt, die nicht jedem in der Partei gefallen. Mit Neugier, weil der Ex-Chef des Inlandsgeheimdienstes einen Wahlkampf führt, mit dem er gezielt Stimmen der AfD ins Lager der Union hinüberzuziehen versucht. Wird das funktionieren? Das fragen sich auch zahlreiche Parteifunktionäre außerhalb seines Wahlkreises. Zumindest bei den Erststimmen könnte diese Rechnung aufgehen. „Sie als Kandidaten wähle ich, aber meine Zweitstimme bekommt die CDU nicht“, sagen viele in der Fußgängerzone von Suhl zu Hans-Georg Maaßen. Der 58jährige hat die hemdsärmelige Ochsentour eines Bundestagskandidaten angenommen. Er hat sich die Maaßen-Team-Jacke übergezogen. Vorn steht HGM drauf, mit schwarzrotgoldenen Streifen daneben. Sein Markenzeichen. Er unternimmt Wanderungen mit Bürgern, diskutiert mit ihnen in entlegenen Dorfkneipen ebenso wie an Info- und Bratwurstständen.

„Manche Leute kann man einfach nicht mehr erreichen“

Unterstützung erhält Maaßen vom Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der ihn ebenso als Redner im Wahlkreis besucht wie der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, ein Urgestein der Unionskonservativen. Selbst die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht kommt, um für ihn als Kandidaten die Werbetrommel zu rühren. Was nicht nur innerhalb der CDU für Überraschung sorgt. Lieberknecht gilt vielen als eingefleischte Merkelianerin, Maaßen dagegen als ausgewiesener Kritiker am Kurs der Kanzlerin.

„Sie wollte damit deutlich machen, daß wir als Volkspartei ein breites Spektrum in der Bevölkerung abdecken“, sagt Maaßen während der Mittagspause, nachdem er gerade drei Stunden Gespräche am Infostand absolviert hat. Dabei setzt er ein verschmitztes Lächeln auf, lehnt sich entspannt zurück und trinkt einen Schluck aus seiner Hans-Georg-Maaßen-Tasse. Er tut das oft, wenn es gut für ihn läuft. Und an diesem Tag läuft es sehr gut für ihn.  

Immer wieder sprechen ihn Interessierte an, wünschen ihm „Viel Glück und alles Gute für die Wahl.“ „Herr Maaßen, ich bin ein ganz großer Verehrer von Ihnen“, ruft ihm eine Frau zu. „Herr Maaßen, könnte ich ein Foto mit Ihnen machen?“, bittet ein anderer. Fragen kommen überwiegend zur Bundespolitik. „Was sagen Sie zu Afghanistan?“, „Wie beurteilen sie das katastrophale Krisenmanagement bei der Flutkatastrophe?“, „Was meinen Sie zur Energiewende und zur Zuwanderung?“

Themen, bei denen der CDU-Kandidat in seinem Element ist, seine Sachkompetenz ausspielen kann. Er spricht leise, aber bestimmt, klar in der Argumentation. Keine Emotionen. Nüchterne, manchmal pointierte Analyse. Bei den Südthüringern kommt das offenbar gut an.

Doch wird es für den Sieg im Wahlkreis reichen? Mit dem ehemaligen Biathlon-Star Frank Ullrich bietet die SPD ein bekanntes Gesicht aus der Region auf, eine Sportikone. Im Gespräch mit zahlreichen Bürgern aus dem Wahlkreis sagen die meisten der JUNGEN FREIHEIT, daß sich das Rennen zwischen diesen beiden Kontrahenten entscheiden wird. Auch der SPD-Kandidat sagt das so, als wir ihn an seinem Infostand inkognito besuchen. Ullrich will dem Sport einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft verschaffen, sagt er. „Zu anderen Themen habe ich von ihm aber bisher nur wenig gehört“, kontert Maaßen dieses Anliegen gegenüber der JF.

In der Gaststätte zur alten Post im Suhler Ortsteil Heinrichs hätten beide im Rahmen einer Podiumsdiskussion aufeinandertreffen können. Doch Ullrich hat abgesagt. Aus zeitlichen Gründen. Alle anderen Kandidaten sind erschienen. Ein hämisches „ooooohhh“ kommt aus vielen Kehlen der gut 100 Zuhörer, als sie der Moderator von der Absage informiert. Dabei wäre der Termin für den gerade einmal einen Kilometer entfernt wohnenden SPD-Mann eigentlich ein Heimspiel gewesen. Die Diskussion entwickelt sich jedoch mehr zu einem Heimspiel für Maaßen, der den mit Abstand meisten Applaus von den Gästen bei Wein, Bier und Thüringer Bratwürsten einheimsen kann. Bier steht auch in Jüchsen, einem 1500-Seelen-Dorf in der Gemeinde Grabfeld nahe der Landesgrenze zu Bayern auf den Tischen. 

20 Interessierte sind im Garten des Gasthauses zur Linde erschienen, um die Rede des CDU-Kandidaten zu hören. Regen trommelt gegen die aufgespannte Zeltplane. Auf den Tischen liegen Maaßen-Kugelschreiber und Kandidatenprospekte. Die Fragen hier sind ausgefallener, bizarrer.

„Die Russen sind aus Deutschland abgezogen, warum sind die Amerikaner noch immer als Besatzer in Deutschland?“, will jemand wissen. Maaßen erklärt das Nato-Statut. „Auch wir haben Truppenteile im Ausland, beispielsweise in Kanada.“ Skeptische Gesichter. Es ist nicht das, was manche hören wollen. Ein mutmaßlicher Reichsbürger-Sympathisant spricht davon, daß Deutschland in Wirklichkeit eine GmbH sei und nicht souverän. „Ich komme zwar nicht vom Völkerrecht“, kokettiert Maaßen mit einem peinlichen Ausspruch von Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, „aber als Jurist versichere ich Ihnen, daß Deutschland keine GmbH ist.“ Überzeugen kann er den Fragenden dennoch nicht.

„Manche Leute kann man einfach nicht mehr erreichen“, sagt Maaßen leise, fast wie zu sich selbst, als ihn seine Fahrerin im Wahlmobil zurück Richtung Suhl fährt. Von den hoffnungslosen Fällen abgesehen ist seine Strategie dennoch, AfD-Wähler davon zu überzeugen, ihn zumindest mit der Erststimme zu wählen. „Die AfD hat sich leider radikalisiert und wird auf absehbare Zeit nicht koalitionsfähig sein“, sagt er immer wieder. Doch nur in der Regierung könne man die Dinge zum besseren wenden. „Deshalb bin ich für Armin Laschet als Kanzler“, erklärt er in seinen Gesprächen. Demnächst wird Maaßen wohl wieder für bundesweite Schlagzeilen sorgen: Thilo Sarrazin soll bei ihm im Wahlkampf auftreten.

In Jüchsen will jemand noch wissen, wie es zu Maaßens Abberufung als Verfassungsschutzpräsident gekommen ist. Der Kandidat seufzt. „Das ist jetzt ein abendfüllendes Thema, ich versuche mal die Kurzversion“, beginnt er vom bundespolitischen Politikbetrieb und seinen Eigenarten zu erzählen. Und fügt zuletzt mit süffisantem Lächeln an: „Wenn ich gewählt werde, sehen die mich wieder.“

Fotos: Podiumsdiskussion der Spitzenkandidaten in Suhl: Der SPD-Bewerber fehlt, den meisten Applaus bekommt CDU-Mann Maaßen; Kandidat Maaßen spricht mit Passanten in Suhls Fußgängerzone: Gefragt wird überwiegend nach bundespolitischen Themen; Schwarzer Senf als Wahlwerbung: Paßt zur Spezialität Bratwurst