© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Die Linke könnte jubilieren
Norwegen: Kurz vor den Parlamentswahlen sehen Umfragen die Sozialdemokraten vorne / Mitte-Rechts-Regierung in Nöten
Christoph Arndt

Sylvi Listhaug kämpft gegen einen Linksrutsch in Norwegen. Listhaug ist Spitzenkandidatin der rechtskonservativen Fortschrittspartei (FrP) und stemmt sich gegen eine mögliche linke Regierung nach der Wahl am 13. September. Klima- und Umwelt sind neben der Sozialpolitik die Hauptthemen im Wahlkampf. Listhaug wandte sich in der TV-Runde der Spitzenkandidaten Ende August an die Wähler und sagte, daß ihre Partei die Bürger nicht mit weiteren symbolpolitischen Steuern und Abgaben quälen will, um die Welt zu retten.

Derzeit regiert eine Mitte-Rechts Minderheitsregierung aus konservativer Høyre (H), der Christlichen Volkspartei (KrF) und der liberalen Venstre (V) das Land im hohen Norden. Die Regierung wird von der FrP toleriert. Ministerpräsidentin ist seit 2013 Erna Solberg (H). Die Fortschrittspartei war bis Januar 2020 selbst Teil der Koalition, nachdem sie in der Wahlperiode 2013–2017 zusammen mit Høyre regiert hatte.

Nach der Wahl im September 2017 konnten H und FrP erst als Zweiparteienkoalition weiterregieren, die Regierung wurde aber bereits im Januar 2018 um Venstre erweitert. Die KrF tolerierte diese Regierung zunächst, es gab jedoch intensive Debatten selbst in die Koalition einzutreten. Dies geschah im Januar 2019, so daß Norwegen erstmals seit 1985 wieder eine bürgerliche Mehrheitsregierung hatte.

Rechtskonservative mit neuer Führung

Die Vierparteienkoalition war jedoch durch andauernde Konflikte zwischen der FrP, KrF und Venstre geprägt. So hatte die KrF maßgeblichen Anteil am Rücktritt von Justizministerin Sylvi Listhaug im März 2018, was das Vertrauensverhältnis der späteren Koalitionäre zerrüttete. In der Zuwanderungspolitik lagen Fortschrittspartei, KrF und die sozialliberale Venstre zumeist deutlich auseinander. Sowohl KrF als auch Venstre kämpfen seit vielen Jahren um das langfristige Überleben und versuchen sich durch ihren Regierungseintritt besser zu profilieren. Die Demographie arbeitet dabei gegen die KrF, da sie mit jeder Wahlperiode mehr Stammwähler aus dem Bibelgürtel Norwegens verliert.

Die Regierungsmehrheit zerbrach entgültig als Folge des Streits um die Rückführung einer IS-Terroristin mit norwegischer Staatsbürgerschaft aus Syrien. Nachdem Ministerpräsidentin Solberg die Rückführung der Frau und ihrer Kinder aus moralischen Gründen verteidigte, trat die FrP aus der Regierung aus. Ein weiterer Grund für den Austritt war laut der Parteivorsitzenden und damaligen Finanzministerin Siv Jensen die Verwaschung des politischen Profils der FrP in der Regierung seit der Erweiterung um V und KrF.

Jensen trat ihrerseits im Mai 2021 als Parteivorsitzende der FrP zurück. Den Vorsitz übernahm die ehemalige Justiz- und Zuwanderungsministerin Listhaug, welche die Partei nun auch als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf führt und dabei die Position als drittstärkste Partei verteidigen muß. 

Die Konflikte im bürgerlichen Lager und konstante Regierungsrochaden haben die Wiederwahlchancen Solbergs als Ministerpräsidentin jedoch de facto zunichte gemacht. So hat das bürgerliche Lager seit langem keine Mehrheit in den Umfragen. 

Stattdessen geht es um die Frage, welche Konstellation aus dem linken Lager nach der Wahl regieren könnte. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (AP) dürfte mit ihrem Vorsitzenden Jonas Gahr Støre den Ministerpräsidenten stellen. 

Dessen AP liegt aktuellen Umfragen zufolge bei 23 Prozent, Høyre bei 20 Prozent, die Zentrumspartei (SP) bei 13, die FrP bei elf und die Sozialistische Volkspartei (SV) bei zehn. Die marxistische Rødt, die Grünen (MDG) und Venstre mit jeweils fünf Prozent sowie die Christliche Volkspartei mit vier Prozent müssen schauen, daß sie die Vier-Prozent-Sperrklausel überschreiten.