© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Die Inflation muß man bekämpfen, bevor sie die Macht erobert hat
Ende der Geldwertstabilität
Joachim Starbatty

Die Inflationsrate betrug in den USA im Juli 5,4 Prozent, in Deutschland kletterte der Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts im August auf 3,9 Prozent. In der Eurozone stieg die Inflationsrate von 2,2 auf 3,0 Prozent. Der Anstieg der Verbraucherpreise hatte sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet; die Europäische Zentralbank blieb aber untätig. Die EZB hatte eine Handlungsnotwendigkeit in Abrede gestellt, weil der Preisanstieg vorübergehender Natur sei und nach einiger Zeit wieder abebben würde. Nun sind aber in Deutschland die Preise für Güter und Waren, die rund die Hälfte des Warenkorbes ausmachen, sogar um fünf Prozent gestiegen.

Dieser Anstieg ist struktureller und damit dauerhafter Natur. Die Gewerkschaften werden von ihrer bisher moderaten Lohnpolitik abgehen und den vermuteten Preisanstieg in ihre Forderungen einpreisen – und dann haben wir sie wieder: die Lohn-Preis-Spirale oder Preis-Lohn-Spirale. In den vergangenen beiden Dekaden ist sie uns erspart geblieben. Daher wäre die EZB gerade jetzt gefordert, einer solchen Entwicklung vorzubeugen. Alfred Müller-Armack – er hat den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ geprägt – pflegte zu sagen: Man muß die Inflation wie Diktaturen bekämpfen, bevor sie die Macht errungen haben. Wird sich die EZB an diese Maxime halten oder wird sie die Entwicklung treiben lassen? Zwar ist sie vertraglich verpflichtet, vorrangig das Ziel Preisstabilität zu verfolgen, doch hat seit dem 26. Juli 2012 ihr damaliger Präsident, Mario Draghi, die EZB darauf ausgerichtet, die Eurozone zusammenzuhalten: „Whatever it takes!“

Und dies hat die EZB seither präferiert – ganz ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Nebenwirkungen und Folgekosten. Sollte die EZB nun angesichts der Inflation ihre Zinssätze anheben und die Liquiditätsschwemme über Staatsanleihekäufe drosseln wollen, werden die Zinsen im gesamten Bankensektor steigen und damit insbesondere die Zinsen für Staatsanleihen notleidender Euro-Schuldnerländer. Bisher hatte die EZB ihnen den Weg zu einer nahezu kostenlosen Staatsfinanzierung freigehalten. Bei einem Kurswechsel könnte damit das Ziel „Zusammenhalt der Eurozone“ gefährdet sein. Das will die Politik verhindern. Die stabilitätsorientierten Mitglieder im EZB-Rat könnten entgegnen, daß ein merklicher Anstieg der Inflationsrate ebenfalls das Zinsniveau nach oben treibe und sich die EZB daher jetzt zu einer Bekämpfung der Inflation entschließen müsse. Doch haben im Zentralbankrat die Schuldnerländer die Mehrheit.

Sie werden diese ökonomische Logik nicht wahrhaben wollen und für Nullzinsen und die Fortsetzung der Liquiditätsschwemme stimmen. Diese Fraktion hat Emmanuel Macron mit der Wahl seiner Kandidatin, der früheren französischen Finanzministerin und IWF-Chefin Christine Lagarde, zur EZB-Präsidentin gestärkt. Im Einvernehmen mit Angela Merkel hat der französische Präsident die Inthronisierung von Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission lanciert, um eine erfolgreiche Kandidatur von Jens Weidmann für die EZB-Spitze zu verhindern. Der Bundesbank-Präsident hätte wohl energischer am Ziel Geldwertstabilität festgehalten. Doch das war nicht gewollt. Denn auch für die Bundeskanzlerin ist der Erhalt der Eurozone vorrangig.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und war Abgeordneter des EU-Parlaments.