© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Ohne offene Gewalt zum Ziel
Geopolitik: Das devisenreiche China kann nicht nur Exportländer wie Deutschland erpressen
Albrecht Rothacher

Nicht nur in der Afghanistan-Frage setzt Joe Biden auf Kontinuität zu seinem ungeliebten Vorgänger Donald Trump. Schon bei seinem Brüssel-Besuch im Juni versuchte der US-Präsident die Nato-Partner und die EU-Führung auf seinen Anti-China-Kurs zu trimmen. Rußland und der Krieg gegen den Terror waren zweitrangig. Afghanistan als nicht zu gewinnender Nebenkriegsschauplatz wurde ohne Rücksicht auf Verluste abgewickelt. Doch nur ungern lassen sich die meisten Europäer auf diese Konfrontation mit Peking ein, zumal sie mittlerweile doppelt soviel Handel mit China treiben wie mit den USA.

Die EU-Länder erwirtschafteten 2020 im Warenverkehr mit den USA einen Überschuß von 150 Milliarden Dollar. Mit China erlitt die EU ein Außenhandelsdefizit von 180 Milliarden Dollar, denn China will Märkte erobern, nicht seinen eigenen Binnenmarkt öffnen. Die USA exportierten voriges Jahr Waren im Wert von 1.425 Milliarden Dollar, der Import lag bei 2.336 Milliarden Dollar. Das hohe US-Außenhandelsdefizit von 911 Milliarden Dollar lag zu mehr als einem Drittel an den China-Importen (435 Milliarden Dollar). Amerikanische Firmen setzten im Reich der Mitte nur Waren für 124 Milliarden Dollar ab.

Die deutsche Autoindustrie ist auf ihre Exporte angewiesen

Bei einer Parteinahme droht der deutschen und der EU-Wirtschaft insgesamt Ungemach. Hält es die EU mit China und verwendete zum Beispiel Huawei-Technologien für ihre 5G-Mobilfunknetze, ließe Brüssel weiter chinesische Firmenkäufe, den Technologiediebstahl oder Datenabfragen per TikTok & Co. zu, so könnten die USA nicht nur zu ihrem schon bei der Erdgaspipeline Nord Stream 2 erprobten Sanktionsarsenal greifen. Biden könnte Trumps Strafzölle für EU-Produkte verlängern und erweitern oder Konzerne wie Bayer, VW oder die Deutsche Bank mit noch brutaleren Strafzahlungen überziehen. Und nicht zu vergessen: Deutsche Firmen exportierten 2020 Waren für 115 Milliarden Dollar nach God’s Own Country – in der Gegenrichtung waren es nur 57 Milliarden.

Doch auch China wäre nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel, sollten sich Berlin und Brüssel klar an die Seite Washingtons stellen. Dies mußte Litauen erfahren, als es den Status seiner Handelsmission in Taiwan erhöhte: Prompt wurde die Baltenrepublik mit einem Import-Embargo nach China bestraft. Ähnliches widerfuhr einem Teil der australischen Exporte nach China, als sich Canberra für die Ursprünge des Coronavirus in Wuhan interessierte. Drei Kanadier wurden wegen angeblicher Spionage oder Drogenhandels zum Tode oder langen Haftstrafen verurteilt. Rein zufällig hatte zuvor in Vancouver gegen Ren Zhengfei, die Tochter des Huawei-Gründers, ein Auslieferungsverfahren in die USA begonnen.

Die vom Klimawahn drangsalierte deutsche Autoindustrie, die mittlerweile jeden dritten Pkw auf dem wachsenden chinesischen Markt verkauft, wird sich also im Falle chinesischen Zorns warm anziehen müssen. Und die USA werden auch unter Biden sicherlich nicht die dann überzähligen Audis, BMWs, Mercedes und Porsche zollfrei ins Land lassen. Zudem ist die EU wie immer uneins, sie muß aber in außenpolitischen Fragen einstimmig entscheiden. Das weiß auch das KP-Regime in Peking. Die Chinesen haben neben Terminals in 13 EU-Häfen den Athener Hafen von Piräus ganz gekauft, modernisiert und erweitert. Mit vier Milliarden Dollar Kredit wird die Bahnlinie Budapest–Belgrad ausgebaut. So kommt es, daß kritische Stellungnahmen der EU zur Repression in Hongkong, Tibet oder der Uiguren-Provinz Xinjiang schnell verwässert werden.

Und amerikanische wie chinesische Strategen haben die „Thukydides-Falle“ wiederentdeckt. So hat vor 2.400 Jahren der gleichnamige griechische Historiker in seiner Geschichte des Peleponesischen Kriegs beschrieben, wie sich die Landmacht Sparta von der wachsenden Seemacht Athens bedroht fühlte und es unweigerlich zum Krieg kommen mußte. 1940 sahen die Amerikaner durch die japanische Expansion ihre Handelsinteressen in China bedroht – aus den Washingtoner Exportrestriktionen wurde am 25. Juli 1941 ein totales Öl-Embargo, dem sich die Briten und Niederländisch-Indien (Indonesien) anschlossen. Alle japanischen Guthaben in den USA wurden blockiert – der Pazifikkrieg war nicht mehr aufzuhalten.

Schon 2005 warnte Robert Zoellick, damals Vizeaußenminister von George W. Bush, vor dem chinesischen Vormachtstreben in Asien und der rapiden Modernisierung des Militärs, das Taiwan, Japan, Vietnam und Indien bedrohe. Seither hat China mit 100 Interkontinentalraketen eine Zweitschlagskapzität entwickelt, seine Luftwaffe mit dem Nachbau modernster russischer Kampfflugzeuge modernisiert und eine eigene Flugzeugträger-Gruppe gebaut. Chinesische Hacker ärgern mit Cyber-Attacken auf US-Regierungseinrichtungen.

China hatte im Juli durch seine weltweiten Exporterfolge Devisenreserven von 3.372 Milliarden Dollar angehäuft – Deutschland lediglich 253 Milliarden Dollar. Der Billionenschatz ermöglicht Peking eine aggressive Schuldendiplomatie. Die Seidenstraßenprojekte schaffen finanzielle Abhängigkeiten, die von Myanmar (Birma) und Kirgisien bis Montenegro und Ostafrika reichen. Für die meisten Ökonomen ist es nur eine Frage der Zeit, ob China die USA Ende der 30er Jahre oder erst 2050 als größte Volkswirtschaft der Welt überholen.

Strategien durchkreuzen, Bündnisse aufbrechen

Ein militärischer Konflikt Chinas mit den USA könnte sich beispielsweise an einer Blockade und der Invasion Taiwans nach einer Unabhängigkeitserklärung entzünden oder an der fortgesetzten Raketen- und Nuklearrüstung Nordkoreas. Möglich sind auch niederschwellige Stellvertreterkriege in anderen unruhigen Weltgegenden. Vielleicht hält sich KP-Diktator Xi Jinping aber an die ebenfalls 2.400 Jahre alten Prämissen des chinesischen Strategen Sunzi, der in seinem Buch „Die Kunst des Krieges“ ausführte, man müsse zunächst die Strategien des Gegners durchkreuzen, seine Bündnisse aufbrechen und ihn dann so einschüchtern, daß man auch möglichst ohne Gewaltanwendung seine Kriegsziele erreiche.

Zahlen zum US-Außenhandel 2020: www.census.gov