© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Überfällige Reform
Aktienmarkt: Der Leitindex Dax wächst von 30 auf 40 Werte / Weiterhin nur unvollständiges Abbild der deutschen Wirtschaft
Thomas Kirchner

Am 20. September ist es nun soweit: Nach 32 Jahren wird der Deutsche Aktienindex (Dax) von 30 auf 40 börsennotierte Aktiengesellschaften erweitert. Damit ähnelt Deutschlands führendes Wertpapierbarometer der internationalen Konkurrenz ein bißchen mehr. Nur der US-Index Dow Jones besteht weiter aus lediglich 30 Werten, ist in der Praxis aber längst dem viel breiteren Aktienindex von Standard & Poor’s (S&P) mit 500 Werten gewichen.

Mit 40 Werten liegt Deutschlands Dax nun gleichauf mit dem französischen CAC 40 (Cotation Assistée en Continu), aber immer noch hinter dem britischen FTSE (100 Werte) oder dem japanischen Nikkei-Index (225 Werte). Im Vergleich zum US-Vorbild hat der Dax seit seiner Einführung 1988 schlecht abgeschnitten: aus 1.000 Euro wurden im Dax lediglich 15.600, während 1.000 Dollar im S&P 500 auf inzwischen 35.700 gestiegen sind, im Dow Jones sogar auf 40.000. Kein Wunder, daß Haushalte in Deutschland weniger vermögend sind.

Zweimal statt einmal pro Jahr wird die Zusammensetzung des Dax künftig überprüft. Neuzugänge in den Dax40 müssen nun zwei Jahre Vorsteuergewinne vorweisen. Der im Sommer 2020 als Ersatz für das Pleite-Unternehmen Wirecard (JF 36/21) aufgenommene Delivery Hero SE – eine Internet-Bestellplattform für Essenlieferungen – hätte es nach diesem neuen Kriterium nicht geschafft, denn die in Berlin registrierte europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea/SE) hat seit ihrer Gründung 2011 nie Gewinne erwirtschaftet, bleibt aber trotzdem im neuen Dax40.

Die Perspektiven für eine Dax40-Aufnahme haben die Börsenkurse der meisten Kandidaten schon das ganze Jahr über beflügelt. Der Göttinger Pharma- und Laborzulieferer Sartorius, der Essener Chemikalienhändler Brenntag, die Stuttgarter Beteiligungsgesellschaft Porsche SE, der Berliner Kochboxen-Lieferant HelloFresh SE, der Sportartikelhersteller Puma, der Erlanger Medizintechniker Siemens Healthineers, der Versender Zalando und der europäische Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern Airbus haben alle in den letzten sechs Monaten deutlich besser abgeschnitten als der Dax. Nur beim Holzmindener Wirkstoffhersteller Symrise und dem deutsch-holländischen Biotech-Konzern Qiagen lief es schlechter.

Das ist keine Überraschung, denn weil die Aufnahmekriterien bekannt sind, kaufen viele Anleger im Vorfeld von Indexanpassungen die Kandidaten und treiben die Kurse – wohlwissend, daß Indexfonds und börsengehandelte Fonds (ETF) die Werte kaufen müssen, sobald der Index offiziell geändert wird. Egal, wie teuer oder billig die Werte dann sind. Deshalb ist einer der Kritikpunkte am passiven Investieren, daß Indizes tendenziell überbewertet sind.

MDax für mittelgroße Firmen schrumpft von 60 auf 50 Werte

Der Zählerstand des Dax von derzeit etwa 15.800 wird sich am 20. September nicht ändern, lediglich die Gewichtung der Aktien. Der Börsenwert der nun 40 Dax-Unternehmen steigt um neun Prozent. Schlecht sieht es für den Frauenanteil in Dax-Vorständen aus: Durch die Neuzugänge sinkt dieser von 19 auf 17 Prozent. In Aufsichtsräten sinkt der Frauenanteil von 34 auf 33 Prozent. Munition also für Politiker, neue Quoten zu fordern. Immerhin vermied die Deutsche Börse AG, daß Kriterien wie Umwelt- und Sozialstandards bei der Neuaufnahme von Firmen in den Dax berücksichtigt werden.

Der 1996 gestartete MDax für mittelgroße AGs und SEs schrumpft durch die Dax-Reform von 60 auf 50 Werte. Weil nun die größten Unternehmen gehen, sinkt seine Marktkapitalisierung um 45 Prozent. Unklar ist, ob der MDax nun ein Stiefmütterchendasein fristen wird, oder ob Bewertungen durch passive Investoren den MDax expandieren lassen. Um solche Verzerrungen zu vermeiden, hätte auch der MDax vergrößert werden sollen.

Der Wirecard-Skandal war willkommener Anlaß für eine längst überfällige Dax-Reform. Nach der Insolvenz blieb der oberbayrische Finanzdienstleister noch wochenlang im Dax, weil ein schneller Rauswurf nicht möglich war. Doch die Reform ist zu zaghaft, um an den grundlegenden Problemen der deutschen Börsenkultur etwas zu ändern. Es mangelt an Innovation. Die Mehrzahl der Dax-Firmen wurde vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Zwölf der 30 Dax-Werte waren seit 1988 dabei.

Nach der Erweiterung werden 14 Mitglieder Abspaltungen oder enge Verwandte sein: Siemens plus drei Ex-Töchter, zweimal Fresenius, Porsche und VW, Bayer und Covestro sowie Post und Telekom. In wenigen Monaten werden die abgespaltene Daimler Truck AG und Mutter Mercedes gemeinsam im Dax40 vertreten sein. Die Aufnahme der Porsche SE ist problematisch, besteht die Holding doch hauptsächlich aus VW-Aktien und setzt die längst überkommenen Kreuzbeteiligungen der alten Deutschland AG fort. Ähnliches gilt für Siemens, während Bayer seine Beteiligung an dem Werkstoffhersteller Covestro von 150 auf fünf Millionen Aktien reduziert hat.

Das Ziel, die deutsche Wirtschaft besser abzubilden, wird mit der Umgestaltung jedenfalls nicht erreicht. Handelsriesen sind überhaupt nicht vertreten. Mit SAP ist eine einzige Softwarefirma im Dax, bei der aber Beobachter befürchten, die Technik wäre veraltet. Innovative deutsche Unternehmen gehen oft an die US-Börse. Deutschland braucht mehr Börsengänge und weniger „hidden Champions“, wenn der Finanzmarkt die Wirtschaft widerspiegeln soll.

Dax40 der Deutschen Börse:  deutsche-boerse.com