© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Mit digitalen Installationen aus der Sinnkrise der Hochkultur
Theater als solches hinter sich lassen
(dg)

Die Besucherforschung für das Theater ist unzuverlässig, weil sie Theater und Oper nicht trennt. Aber ihre zentrale Aussage unterliegt nicht dem geringsten Zweifel: Der Anteil regelmäßiger Theaterbesucher in der Bevölkerung liegt bei kärglichen fünf Prozent und weist einen deutlich über dem der Gesamtgesellschaft liegenden Altersdurchschnitt auf. Kein Wunder also, daß Staats- und Stadttheater während der Corona-Ausnahmezustände als „nicht systemrelevantes Freizeitvergnügen“ galten und damit, wie sich Intendanten empörten, auf einer Stufe mit Bordellen rangierten. Geklagt wurde jedoch, wie der Filmkritiker Ekkehard Knörer abwiegelt, auf hohem Niveau, weil staatliche Gelder, „die in die Hochkultur (zum Glück) reichlich fließen“, weiter gezahlt wurden. Gleichwohl sei „die Sinnkrise“ groß (Merkur, 8/2021). Aus dieser befreiten sich viele geschlossene Häuser dadurch, daß sie mit den Formen des Films für das Internet experimentierten. Die Parameter des Theaters, Einheit von Raum und Zeit in Kopräsenz mit dem Publikum, lösen sich in den Netzformaten freilich auf. Im Digitalen das Theater als Theater hinter sich zu lassen, sei während der Pandemie keinem so eindrucksvoll gelungen wie Sebastian Hartmann, der dem Milieu des „Regietheater“-Gurus Frank Castorf entstammt. Seine digitalen Inszenierungen setzen nicht nur den in den 1990ern eingeschlagenen Kurs fort, Stücke zu „dekonstruieren“ und den von Schauspielern gesprochenen Text „aus dem Zentrum“ zu rücken, was noch die „vertrauteste postdramatische Übung“ wäre. Vielmehr entfernen die Knörer so faszinierenden „filmisch-theatralen Installationen des Hartmann-Theaters“ das „Zentrum als solches“. 


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