© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Ein nationaler Lernort
Demokratiegeschichte: Zur Debatte um die Neugestaltung der Frankfurter Paulskirche
Claus-M. Wolfschlag

Die Frankfurter Paulskirche ist ein dringender Sanierungsfall. Statt nun die Chance zu ergreifen, ihr historisches Erscheinungsbild zu rekonstruieren, verfolgt die Politik andere Interessen. Geld soll für die Errichtung eines „nationalen Erinnerungs-, Gedenk- und Lernortes“ ausgegeben werden. 

Der Ort ist zentral für die deutsche Nationalgeschichte. Das von 1789 bis 1833 in klassizistischen Formen errichtete Gebäude fungierte bis zur Zerstörung 1944 durch einen alliierten Bombenangriff als evangelische Hauptkirche Frankfurts. Bedeutung erlangte es als Sitz des ersten gesamtdeutschen Parlaments, das sich dort nach der Revolution von 1848 einfand. Zwar waren die Bemühungen der Nationalversammlung um die Errichtung eines deutschen Nationalstaats und um demokratische Mitbestimmungsrechte von wenig Erfolg gekrönt, doch der Aura des Ortes tut es keinen Abbruch.

Symbol des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg

Aura ging indes für viele durch den 1948 erfolgten Wiederaufbau von Rudolf Schwarz verloren. Äußerlich wurde die Kirche mit einer flachen Kuppel an Stelle des ursprünglichen Kegeldachs hergestellt. Schwarz hob im Inneren das Bodenniveau des Versammlungsraums an und schuf im Erdgeschoß eine umlaufende Wandelhalle. In dieser wurde unter anderem 1997 die einseitige und mit Fehlern behaftete Anti-Wehrmachtsausstellung gezeigt. Die ursprünglichen Emporen des Kirchraumes entfielen beim Wiederaufbau. Der nun ausgesprochen schlichte Innenraum war den Problemen der Nachkriegszeit geschuldet, an ausreichende Finanzmittel und Baumaterialien zu gelangen. Gleichwohl wird er von einigen Architekturtheoretikern heute zum ästhetischen Symbol des demokratischen Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg verklärt. 1986 erfolgte immerhin eine Renovierung, bei der die Kirche wieder dem historischen Vorbild angelehnte Sprossenfenster erhielt.

Hinsichtlich einer Rekonstruktion des Vorkriegszustands der Paulskirche scheint nicht mehr viel Diskussion erwünscht. Die „Bürger für Frankfurt“ (BFF) hatten hierzu 2019 einen umfangreichen Antrag im Frankfurter Stadtparlament vorgelegt, der allerdings von fast allen anderen Fraktionen abgelehnt wurde. Baumodernisten waren umgehend bemüht, die Paulskirche nach der gerade rekonstruierten „Neuen Altstadt“ nicht zu ihrem zweiten Schock werden zu lassen. Philipp Sturm, Kurator des Deutschen Architekturmuseums, raunte denn auch laut einem Gespräch mit der taz siegesgewiß: „Wir sind einen Schritt früher dran.“

Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler hatte Anfang des Jahres Angela Merkel als „Glücksfall für Deutschland“ bezeichnet. Nun ist er eines der Mitglieder der neu gebildeten „Expertenkommission Paulskirche“ unter der Leitung des scheidenden CDU-Bundestagsabgeordneten Volker Kauder, die die Zukunft des Gebäudes entwickeln soll. Münkler plädierte gegen eine „historisierende Rekonstruktion“ des Vorkriegszustandes, um auf diese Weise den zivilisatorischen „Bruch (...) durch die Jahre des Nationalsozialismus 1933 bis 1945“ darzustellen“.

Das klassizistische Erscheinungsbild des 1833 eingeweihten Gebäudes wird also von ihm mit dem Nationalsozialismus assoziiert, die Zerstörung zum Initiationsereignis überhöht. Bei solcher Argumentation finden sich sogar Anknüpfungspunkte an den linkslastigen Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, der im Merkur vom Geist der Nachkriegszeit schwärmte, der beim schlichten Wiederaufbau die „archaisch-existentielle Ruinenerfahrung als Erinnerung an den Zivilisationsbruch“ hätte bewahren wollen.

Doch längst vorbei scheinen die Zeiten, als Denkmale stumme Monumente waren, die dem Betrachter Spielraum für eigene Gedanken und Interpretationen ließen. Zunehmend ist die volkspädagogische Begleitung der Gedanken gefragt. Zum einen liegt es an der mangelnden historischen Bildung vieler Nachwachsender, die zunehmend Erklärungen des Gezeigten notwendig macht. Zum anderen liegt es in der Verunsicherung der politischen Eliten. Angesichts von Postdemokratie, Kapitalballung bei einer einflußreichen globalen Superreichen-Kaste, Notstandsgesetzgebung, Einschränkung von Grundrechten, aber auch der Kritik durch widerständige Milieus von „Rechtspopulisten“ oder „Querdenkern“, wachsen Bemühungen der politischen Elite, ihre demokratische Legitimation der Öffentlichkeit zu vermitteln. 

Der Bundestag hat sich somit im April mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ beschäftigt. Zudem wurde ein Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte entwickelt. Beides wurde an die Ausschüsse für Kultur und Medien weitergeleitet. Stiftungsaufgabe soll es sein, „der Erinnerung an die wechselvolle Geschichte der Demokratie in Deutschland Sichtbarkeit zu verleihen, Verständnis für Ursachen und Wirkungen zu wecken, das  Wertefundament der freiheitlichen demokratischen  Grundordnung anschaulich und breitenwirksam zu vermitteln und den Wert eines demokratisch verfaßten Gemeinwesens noch stärker im Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern“. Dafür winken weitere, öffentlich finanzierte Arbeitsstellen für Museumspädagogen, Kuratoren, Vortragsredner, Expertengremien. Die Frankfurter Paulskirche ist als einer der besagten Orte im Gespräch.

Expertenkommission tritt am kommenden Montag zusammen

Die Entwicklung des Konzepts wollen der Bund, das Land Hessen und die Stadt Frankfurt in Kooperation übernehmen. Somit soll die Kirchensanierung für die Ausweitung der „historisch-politischen Bildung“ am Ort genutzt werden. Hierzu gehören auch Überlegungen, in unmittelbarer Nähe ein „Haus der Demokratie“ als „zeitgemäßen Reflexions- und Kommunikationsort“ zu errichten. Erste in der Presse aufgetauchte Skizzen zeigten die üblichen Glaswürfel. Doch dazu ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Die „Expertenkommission Paulskirche“ will am 13. September zu ihrer ersten Sitzung zusammentreten. Über die zukünftig vermittelten Inhalte kann zwar bislang nur spekuliert werden. Bürgerprotest oder Meinungsäußerungen, die dem Konsens der regierenden Parteien nicht schmecken, dürften dort aber höchstwahrscheinlich nicht als positives Erbe des Paulskirchen-Parlaments präsentiert werden. Auch allzu freundliche Bezugnahme auf den deutschen Nationalstaat dürfte angesichts aktueller Zentralisierungstendenzen in Richtung EU oder gar Weltstaat als wenig zielführend bewertet werden. Welche Richtung der „Lernort“ einschlagen dürfte, skizzierte Herfried Münkler bezogen auf die Themen „Nationalismus und Antisemitismus“: „Natürlich muß es zu diesen Themen Sonderausstellungen geben. Dafür sollte ein Geschoß des Hauses reserviert sein.“ 

Während also draußen Bürgerdemonstrationen verboten und in Metternichscher Manier allzu kritische Youtube-Videos und Facebook-Accounts zensiert werden, erklären demnächst Politiker in der Paulskirche, wie man Demokratie erlernen kann.

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