© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Im Propagandakrieg zwischen den Fronten
Kino I: „Curveball – Wir machen die Wahrheit“ ist eine Satire aus der real existierenden Welt der Geheimdienste
Dietmar Mehrens

Ein Iraker, der im Asylantenheim lebt und dem Bundesnachrichtendienst (BND), um einen deutschen Paß zu ergattern, die Lüge von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen auftischt und damit eine ganze Region in Krieg und Chaos stürzt: der Stoff, aus dem der Filmemacher Johannes Naber seinen vierten Spielfilm gewoben hat, klingt wie eine ausländerfeindliche Verschwörungstheorie, doch er ist wahr.

Nabers Geschichte beginnt 1997 im Irak, wo der Biowaffenexperte Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) in nachrichtendienstlicher Mission unterwegs und privat in bester James-Bond-Manier mit der CIA-Kollegin Leslie (Virginia Kull) befaßt ist. In die Heimat zurückbeordert, wird der Fachmann für biologische Kriegsführung von BND-Chef Schatz (Thorsten Merten) zum Führungsoffizier und Spezialagenten für den Fall Rafid Alwan (Dar Salim) gekürt. Alwan gibt sich als Insider aus Saddams Biowaffenprogramm aus und bietet sich dem deutschen Geheimdienst als Gewährsmann dafür an, daß der irakische Staatschef immer noch Anthrax herstellen läßt. Alwan bekommt eine eigene Akte und den Codenamen „Curveball“.

Rot-Grün kommt nicht besonders gut weg

Wolf kontaktiert Leslie mit einer Blutprobe von Alwan: Darin müßten sich Anthrax-Antikörper nachweisen lassen, wenn Alwan die Wahrheit spricht. Die Blutprobe ist ohne Befund. Damit wäre der Pseudo-Informant der Lüge überführt – eigentlich. Als jedoch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA auf das World Trade Center die Entscheidung fällt, Saddam zu stürzen, ist Alwan auf einmal ein gefragter Mann. Er liefert die nötige Legitimation für den Angriffskrieg gegen den Irak. Curveball, der sich während seiner Überwachung privat mit Dr. Wolf angefreundet hat, sucht in dieser heiklen Lage Schutz bei dem inzwischen suspendierten BND-Mann. Beide geraten zwischen die Fronten eines Propagandakriegs.

Regisseur Johannes Naber hat ein immer noch brisantes Thema filmisch aufgearbeitet. Dabei kommt die damalige rot-grüne Bundesregierung nicht besonders gut weg: Als Wolf im Fernsehen sieht, wie Colin Powell vor der Uno seine Erklärung über einen Informanten aus Saddams Chemie- und Biowaffenprogramm abgibt (im Film als einmontiertes Archivmaterial zu sehen), ist er sofort im Bilde: Dieser Informant ist Rafid Alwan alias Curveball! Und als er Bundesaußenminister Fischer bei der UN-Sitzung stumm zuhören sieht, platzt ihm der Kragen: „Wieso sagt der nichts?“

Eine erfrischend ideologiefreie Botschaft

Die Filmreklame vermarktet „Curveball“ als witzige Politsatire im Stil von „Der Krieg des Charlie Wilson“ (2007). Tatsächlich ist der in drei Kategorien für den diesjährigen Deutschen Filmpreis nominierte Streifen selten komisch und nicht so überdreht, wie man es von einer Komödie erwarten kann. Die Inszenierung ist eher gediegen und detailverliebt als schrill und bunt. Erst beim furiosen Finale mit ironischen Anleihen bei „Der Spion, der mich liebte“ (1977) dreht Naber richtig auf.

„Was ist Wahrheit?“ fragt Wolf. Er greift damit das berühmte Pilatus-Diktum aus dem Johannesevangelium auf und gibt gleich selbst die Antwort: „Eine Illusion. Natürlich. Aber was sind wir ohne das Ringen nach Wahrheit?“ Der Film mit dem vielsagenden Untertitel „Wir machen die Wahrheit“ zeigt, wozu Menschen bereit sind, um ihre egoistischen Ziele zu erreichen: Sie lügen, daß sich die Balken biegen. Für einen deutschen Paß, einen Karriereschub, eine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg. Ob sie mächtig oder ohnmächtig, Mann oder Frau, aus Okzident oder Orient sind. Eine erfrischend ideologiefreie Botschaft, die ein Jahr nach den US-Wahlen wirkt wie ein Epilog zur Präsidentschaft Donald Trumps.

Kinostart ist am 9. September 2021

 www.curveball-derfilm.de