© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Der Fluch der guten Absicht
Wie Facebook zum mächtigen Datensammelimperium wurde, das die Gesellschaft spaltet
Filip Gaspar

Mittlerweile nutzen über 2,8 Milliarden Menschen weltweit Facebook, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Drei-Milliarden-Grenze erreicht werden wird. Und die beiden zugekauften Firmen WhatsApp und Instagram sind hier noch nicht einberechnet. Aus der kleinen Internetseite, die Mark Zuckerberg ursprünglich programmiert hatte, um Kommilitonen die Möglichkeit zu geben, das Aussehen der Kommilitoninnen bewerten zu können, ist ein Internetimperium entstanden, das aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Zwar verlangt Facebook kein Geld für die Nutzung seiner Dienste, doch kostenlos sind diese trotzdem nicht. Der naive Nutzer zahlt mit seinen Daten und mit der teilweisen Aufgabe seiner Privatsphäre – oftmals ohne sich darüber im klaren zu sein. 

Facebook legt eine Datensammelwut an den Tag und weiß Dinge über die Nutzer, von denen das Ministerium für Staatssicherheit der DDR nur geträumt hätte. Dadurch ist es zu einem politischen Machtfaktor geworden. Hinter dem Erfolg steht das Erfolgsduo um den Gründer Mark Zuckerberg (37) und die später hinzugekommene Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg (52), die als Zuckerbergs Sprachrohr fungieren soll. Von außen betrachtet ergänzen sie sich gut. Zuckerberg, das visionäre Computergenie, Sandberg, die brillante Managerin, die ihr Handwerk bei Google erlernt hat und durch feministisches und auch sonst allseits wokes Engagement auffällt. 

Doch unabhängig davon, wie freundlich lächelnd der öffentliche Auftritt auch sein mag, ein Wachstum um jeden Preis ist und bleibt oberstes Ziel. Die beiden Reporterinnen der New York Times Sheera Frenkel und Cecilia Kang haben mit über 400 Experten und ehemaligen Mitarbeitern sprechen können – Zuckerberg und Sandberg selbst lehnten Gespräche für das Buch ab – und haben ihre Rechercheergebnisse niedergeschrieben. Herausgekommen ist ein Blick hinter die Kulissen des sonst so abgeschotteten Unternehmens. Und der hat es in sich, denn es scheint noch schlimmer zu sein als man erahnen kann. In den letzten Jahren ist Facebook zum Sinnbild für all das Schlechte geworden, das der technische Fortschritt mit sich bringen kann. 

Zuckerberg trat einst mit der Devise an, er wolle die Menschen weltweit zusammenbringen und ihnen Zugang zu Informationen verschaffen. Jetzt muß er sich den Vorwurf gefallen lassen, daß Facebook die gesellschaftliche Spaltung voranbringe und Zugang zu Falschinformationen böte, und auch zuließe, daß diese sich problemlos verbreiten können. Viele der im Buch angeführten Fälle sind bereits bekannt, doch Frenkel und Kang haben all diese Berichte in eine kohärente Erzählung gepackt. Sie zeigen, welche Entscheidungen in der Anfangsphase von Facebook getroffen wurden, die bis dato große Auswirkungen auf seine Außendarstellung haben. Weil Zuckerberg lange Zeit seinen Softwareingenieuren eine größtmögliche Autonomie mit wenig Bürokratie in der Entwicklung gewähren wollte, standen diese nicht unter strenger Kontrolle wie andere Mitarbeiter. Im Buch wird beschrieben, wie ein Softwareentwickler eines seiner zukünftigen Dates ausspioniert und sie geradezu stalkt. 

Dabei muß angeführt werden, daß Entwicklern zu Beginn diese technische Möglichkeit gegeben war, doch jeder Mißbrauch eine sofortige Kündigung nach sich zog – ausnahmslos. Zuckerberg wurde mehrmals auf die Problematik hingewiesen, doch reagierte erst 2015, als Alex Stamos, ein renommierter IT-Sicherheitsexperte, eingestellt wurde und deutlich machte, wie groß das Problem war. Die Autorinnen führen an, daß man viele bekannte Schwachstellen schneller ausmerzen könnte, wenn die Unternehmensstruktur nicht auf die Person Mark Zuckerberg zugeschnitten wäre. Mit seinen etwa 60 Prozent an Stimmrechten braucht er bei Entscheidungen keine Rücksicht auf andere zu nehmen. Anders gesagt: Was Zuckerberg für Facebook, Instagram und WhatsApp vorgibt, wird auch umgesetzt. Das gehört auch zur Wahrheit. So sehr Zuckerberg seinem Vorbild in Philanthropie Bill Gates nacheifern möchte, nimmt man ihm nicht wirklich ab, daß ihm das Allgemeinwohl wichtiger als das Wachstum von Facebook ist. 

Sheera Frenkel, Cecilia Kang: Inside Facebook: Die häßliche Wahrheit. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021, gebunden, 384 Seiten, 24 Euro