© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Liberale Elemente einer Revision unterziehen
Ein Entwurf einer „postliberalen Gesellschaft“ mit Anleihen an die von illusorischen Zukunftsutopien bereinigte Frankfurter Schule
Björn Harms

Bei der Nachwuchsrechten versucht man seit längerem, starren Denkmustern zu entkommen. Abgehalfterte Begriffe werden über Bord geworfen oder neu erfaßt, die Zwänge konservativer Schablonen hinter sich gelassen. Es wird versucht, die heutige Realität zu begreifen, ohne in Platitüden der Vergangenheit zu verfallen. Auch zu Beginn des Kaplakens von Erik Ahrens und Bruno Wolters, den Machern des Konflikt-Magazins, steht die Erkenntnis: „Um die Gegenwart zu verändern, müssen wir sie zunächst so akzeptieren und beschreiben, wie sie ist.“

Die Welt ist komplex geworden, weshalb simple Rückgriffe wie „Das ist Faschismus!“ oder „Das ist Sozialismus!“ nicht mehr weiterhelfen. Verschiedenste Ideologiemuster sind längst ineinander verschmolzen. Wer hätte vor ein paar Jahrzehnten ahnen können, daß „ein Komplex aus Internet-Konzernen und Finanzoligarchen“, unterstützt von „Black Lives Matter- und LGBTQ+-Aktivisten“ den Lauf der Dinge prägen würde. Fest steht für die Autoren nur: Das liberale Zeitalter ist passé. Grund zur Sorge sehen sie deshalb nicht. „Welthistorisch sind wir noch gar nicht in die deutsche Epoche eingetreten“, lautet die recht wundersame Erkenntnis der Verfasser. Denn: „Je stärker ideologische Kräfte die Wirklichkeit verzerren und mit Lügengebäuden umstellen, desto größer wird der Bruch zwischen Realität und Ideologie – und somit die Chance für metapolitische Hebel.“

Globaler Kapitalismus diametral gegenüber konservativem Ideal

Hier setzt das postliberale Denken an, das die Autoren als „ethnopluralistisch, kapitalismuskritisch, elitär und herrschaftsbejahend, christlich und pro-europäisch“ definieren. Damit orientieren sie sich weniger am politikwissenschaftlichen Begriff des „Postliberalismus“, sondern postulieren eine eigene, offensive Standortbestimmung. Per se „antiliberal“ sei ihr Denken keineswegs zu verstehen. Vielmehr gelte es liberale Elemente „einer gründlichen Revision“ zu unterziehen und in das aufbrechende Zeitalter einzuflechten. Da das postliberale Denken „dialektisch zu begreifen“ sei, haben sich Ahrens und Wolters ein anspruchsvolles Ziel gesetzt: das analytische Erbe Horkheimers und Adornos für die Rechte nutzbar zu machen, ohne den utopistischen Verkündungen zu folgen und ohne das konservative Menschenbild hinter sich zu lassen. Einen „intellektuellen Pfad zurück in eine Zeit vor Adorno, vor die Frankfurter Schule und ihr kulturmarxistisches Denkprojekt“ gebe es nicht, warum nicht also von den verdorbenen Früchten kosten?

Über die Darstellung der „Dialektik der Aufklärung“ hinaus folgt im abschließenden Kapitel eine Bestandsaufnahme des Kapitalismus. Im Gegensatz zur häufig undifferenzierten Kapitalismuskritik vieler Rechter bemühen sich die Autoren darum, ausführlich zu erläutern, was der Begriff für sie überhaupt beinhaltet und weshalb der globale Finanzkapitalismus einem konservativen Ideal diametral gegenübersteht. „Postliberal“ ist somit ein erster Entwurf, der jungen Leuten ein zukunfts-orientiertes Denken vermitteln soll. Konkrete realpolitische Programme finden sich darin nicht. Das dürfte auch gar nicht das Ziel gewesen sein. Offen bleibt die Frage: Warum soll das liberale Zeitalter überhaupt zu Ende sein? Und jeder Libertäre würde wohl ergänzen: Leben wir überhaupt in einem solchen liberalen Zeitalter?

Erik Ahrens, Bruno Wolters: Postliberal. Ein Entwurf (Reihe Kaplaken Band 74), Verlag Antaios, Schnellroda 2021, gebunden, 96 Seiten, 8,50 Euro