© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 37/21 / 10. September 2021

Wind-schnittig durchs Elbtal
DDR-Rarität auf Schiene: Eisenbahnenthusiasten basteln am „Zug für Mitteldeutschland“
Paul Leonhard

Der „Zug für Mitteldeutschland“ wird Ende September von der sächsischen Landeshauptstadt Dresden an seine Geburtsstätte, die niederschlesische Grenzstadt Görlitz, rollen. Noch nicht aus eigener Kraft, aber immerhin auf Schienen, und entlang der (nicht elektrifizierten) Strecke dürften Eisenbahnfreunde aus ganz Deutschland Spalier stehen. Denn der VT 18.16.07/10 ist mindestens genauso beeindruckend wie die mächtigen schwarzen Dampflokomotiven, wenn auch auf eine ganz andere Art. 

Der windschnittige Schnellverkehrstriebwagen mit dem Signet der Deutschen Reichsbahn am stromlinienförmigen Bug kündet von einer Zeit, in der sich der Arbeiter- und Bauernstaat, nachdem er seine Bürger erfolgreich eingemauert und damit am Weglaufen gehindert hatte, anschickte, internationales Prestige zu gewinnen in dem er moderne Züge mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 160 Stundenkilometern übers europäische Schienennetz fahren ließ. Und er kam diesem Traum ziemlich nahe.

Als „Vindobona“, „Karlex“ und „Karola“ fuhren SVT-Wagen zwischen Berlin, Dresden, Prag und Wien beziehungsweise von Berlin oder Leipzig ins tschechische Karlsbad. Der Zug mit dem Namen „Neptun“ bediente die Strecke Berlin–Kopenhagen, der „Berlinaren“ fuhr ebenfalls von Berlin, aber nach Malmö. Als „Sorbenexpreß“ brachten die Verbrennungstriebwagen Reisende von Berlin nach Bautzen, als Sonderzug West-Berliner Messebesucher nach Leipzig. Der Clou waren in Fahrtrichtung drehbare Doppelsitze.

Da die Strecken nicht durchgehend elektrifiziert waren beziehungsweise im europäischen Netz vier Bahnstromsysteme für Kleinstaaterei sorgen, setzte die Reichsbahn auf Dieseltriebzüge. Konstruiert und gebaut wurden sie im VEB Waggonbau Görlitz, der ehemaligen Wumag, einem Traditionsunternehmen, dessen Ingenieure bereits den Doppelstockwagen erfunden hatten. Die Schnellzüge brachten es mit ihrem dieselhydraulischen Antrieb und zwei 1000-PS-Motoren auf Höchstgeschwindigkeiten zwischen 140 (sechsteilig) und 160 (vier- und fünfteilig) Stundenkilometern. 1963 entstand der erste Prototyp, die Serienproduktion lief zwischen 1965 und 1968. Insgesamt wurden acht Triebzüge gebaut. Dazu kamen sechs Zusatzmittel- und zwei Reservetriebwagen.

Ende der siebziger Jahre endete die Zeit der beigen Schnelltriebwagen mit der roten Bauchbinde. Ihre Platzkapazitäten reichten nicht mehr aus. Vorgespannte Lokomotiven übernahmen wieder. Lediglich „Karlex“ und „Karola“ fuhren noch Anfang der Achtziger nach Karlsbad. Mitte des Jahrzehnts war dann endgültig Schluß. Die Züge wurden ausgemustert. Einer diente der Reichsbahn über den Untergang der DDR hinaus als Museumszug, ging von der Bundesbahn übernommen 2003 auf eine Abschiedstour durch Europa und wurde dem DB-Museum Nürnberg übergeben.

Der Bund hilft mit mehreren Millionen Euro

Das wiederum stellte den Koloß bis 2014 im Betriebsbahnhof Berlin-Rummelsburg ab, von wo er erst 2018 nach Nürnberg gelangte, wo sich in einer Sonderausstellung SVT und westdeutscher TEE dem direkten Vergleich stellten. Die Freigeländeschau bekam beiden Fahrzeugen nicht, sodaß die von Eisenbahnenthusiasten gegründete SVT Görlitz gGmbH die komplettierte sechsteilige Einheit in eine Halle in Dresden holte und im September 2019 eine Spendenaktion mit dem Ziel startete, den restaurierten VT (für Verbrennungstriebwagen) 18 (für 1.800 PS) 16 (für 160 km/h) wieder dauerhaft und rentabel für Sonderfahrten einsetzen zu können. Die erste Fahrt des „rollenden Denkmals“ soll 2023 von Berlin über Dresden nach Prag führen.

Ein ehrgeiziges Ziel, das dank geschickten Marketings und dem Verweis auf „europäische Bahngeschichte“ durchaus realistisch erscheint. Die Eisenbahnfreunde konnten mit dem Projektnamen „Ein Zug für Mitteldeutschland“ einflußreiche Politiker für ihre Idee gewinnen, so daß der Bund Fördermittel von vier Millionen Euro zusagte. Auf mindestens 4,5 Millionen Euro schätzt Mario Lieb, Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH, den Bedarf. Allein die Aufarbeitung eines Wagens kostet zwischen 450.000 und 900.000 Euro. „Kontakte knüpfen, Geld sammeln und möglichst viele Eigenleistungen schaffen“, nennt deswegen Lieb als Hauptaufgaben.

Das Schmuckstück der Reichsbahn ist am 24. September von 16 bis 20 Uhr und am 25. September von 9 bis 13 Uhr auf Gleis 10 im Bahnhof Görlitz zu bewundern. Am Folgetag finden Spenden­läufe zugunsten der Restaurierung des VT18.16 statt.

Foto: Reisende schauen sich den Dieseltriebzug VT 18.16, Typ Görlitz, in Berlin an: Nostalgiereisen mit 1.800 PS