© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Wo Dealer mehr Freiheiten haben als Autofahrer
Wahl in der Hauptstadt: Es spricht viel dafür, daß die Berliner den rot-rot-grünen Senat eine weitere Legislaturperiode im Amt bestätigen
Ronald Berthold

Niemand, der den Berlinern sagt, sie würden im Vergleich mit anderen Bundesländern am schlechtesten regiert werden, tritt ihnen zu nahe. Und doch werden die Hauptstädter den rot-rot-grünen Senat wohl mit großer Mehrheit wiederwählen. In der fünfjährigen Legislaturperiode haben die drei Parteien nicht ein einziges Mal ihre Umfrage-Mehrheit verloren. Auch jetzt nicht, kurz vor der Landtagswahl.

Am 26. September, gleichzeitig mit dem Bundestag, wählt Berlin das Abgeordnetenhaus. Michael Müller, der farblose Regierende Bürgermeister, zieht sich auf Druck seiner Partei zurück und kandidiert nun für die SPD als Bundestagsabgeordneter. Seine Nachfolgerin wird voraussichtlich Franziska Giffey (SPD), die im Mai wegen gravierender Mängel in ihrer Doktorarbeit als Bundesfamilienministerin zurücktrat.

Nach allen demoskopischen Erhebungen hat die Opposition keine Chance, das Rote Rathaus einzunehmen. Die regierenden Sozialdemokraten, Grünen und Linken liegen mit 52 bis 56 Prozent deutlich vor CDU, AfD und FDP, die demnach 34 bis 38 Prozent bekommen werden. Die sonstigen Parteien stehen bei zehn Prozent, wobei die Freien Wähler nach keiner Umfrage in den alten Preußischen Landtag einziehen werden.

Bis zum bundesweiten Aufschwung der SPD sah es so aus, als könnten die Grünen diesmal den Regierenden Bürgermeister stellen und stärkste Partei werden. Ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ist zwar weitgehend unbekannt, aber der Berlin-Trend mit bis zu 27 Prozent im April sprach für die Grünen. Inzwischen müssen sie – aktuell auf 17 Prozent gefallen – sogar um Platz zwei zittern. Sie verlieren Zustimmung an die Sozialdemokraten, die von 15 auf nun 23 Prozent kletterten. Zuletzt lag die CDU (19 Prozent) in einer Umfrage vor den Grünen.

Berlins Mietendeckel scheitert in Karlsruhe

So läuft alles darauf hinaus, daß Giffey in den nächsten fünf Jahren Berlin regieren wird. Im Vergleich zu Müller leuchtet ihre Kerze etwas heller auf der Hauptstadt-Torte, aber das gilt allgemein nicht als großes Kunststück. Zwar unterstellen Grüne und Linke, die 43jährige würde mit CDU und FDP „kuscheln“. Aber dies erscheint als Wahlkampfgetöse. Eine sogenannte „Deutschland-Koalition“ wäre zwar rechnerisch möglich, würde aber auf Ablehnung bei den linken SPD-Funktionären stoßen.

Rot-Rot-Grün tritt mit einer verheerenden Bilanz vor die Wähler. Der den eigenen Anhängern versprochene Straßenbahn-Ausbau kommt nicht voran, den Mietendeckel erklärte Karlsruhe für verfassungswidrig. Der Wohnungsbau hinkt selbst Minimalzielen hinterher, Investoren ziehen sich zurück. Befeuert wird dies noch durch den gleichzeitig mit der Wahl stattfindenden Volksentscheid über die Enteignung von Wohnungsunternehmen. Der wäre – obwohl rechtlich nicht bindend – erfolgreich, wenn mindestens ein Viertel der 2,5 Millionen Abstimmungsberechtigten mit „Ja“ stimmt.
Zusehends wird die Stadt zudem schmutziger, die Kriminalität steigt. Arabische und schwarzafrikanische Dealer werden gehätschelt. Symbol: der bundesweit berüchtigte Görlitzer Park mit seinen markierten Flächen für die Rauschgifthändler und den permanenten Gewaltverbrechen.

Zumindest bei der gewollten Behinderung des Autoverkehrs kann die Koalition zweifelhafte Erfolge reklamieren. Grüne Ampelwellen hat sie abgeschafft, den großen Straßen ein bis zwei Spuren für den Autoverkehr genommen. Die Kfz-Steuer investiert der Senat in überbreite Radwege und Busspuren. Im Individualverkehr geht’s nun kaum noch voran. Daher nimmt kaum noch jemand Notiz, daß fast jede Nacht zahlreiche Wagen in Flammen aufgehen: Normalität in der „failed City“.
Die Opposition kommt auf keinen grünen Zweig. Das liegt zum einen an der Attraktivität Berlins für die rot-rot-grüne Klientel. Sie zieht in Scharen in die Hauptstadt. Zuletzt ergab eine Datenauswertung, daß nur 46 Prozent der 3,7 Millionen Berliner auch an der Spree geboren sind.

Zumindest die Probleme der CDU sind aber hausgemacht. Inhaltlich bleibt sie geschmeidig und damit dürftig. Seit Eberhard Diepgen, der 2001 als Regierender Bürgermeister vom damaligen Koalitionspartner SPD mit Linken und Grünen gestürzt wurde, hat die Partei zudem keinen herausragenden Kopf zu bieten. Spitzenkandidat Kai Wegner versprüht den Charme der biederen Mittelmäßigkeit.

Die Liberalen dürften ihr Ergebnis von 2016 (6,7 Prozent) verbessern. Ihren fleißigen Innenpolitiker Marcel Luthe hatte die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus indes weggemobbt. Der Fraktionslose ist nunmehr Spitzenkandidat der Freien Wähler.
Die AfD wird laut Umfragen an Zustimmung verlieren. Nach 14,2 von vor fünf Jahren liegt sie nun bei zehn bis zwölf Prozent. Einiges hatte die Fraktion ins Rollen gebracht. Eine Anfrage der jetzigen Spitzenkandidatin und Finanzpolitikerin Kristin Brinker führte vor einem Jahr zum Rücktritt von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke). Und der wissenschaftspolitische Sprecher der AfD, Martin Trefzer, hatte maßgeblich Anteil am Aufdecken von Details in der Plagiats-Affäre von Franziska Giffey. Doch die Abgeordnetenhausfraktion hatte auch mit internen Verwerfungen und Intrigen zu kämpfen, die eine Weile die Schlagzeilen bestimmten. Mit einer sogenannten Konsensliste hatte sich die Partei dann im Vorfeld der Wahl zusammengerauft.