© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Ländersache: Sachsen-Anhalt
Versuchslabor Magdeburg
Paul Leonhard

Diesmal spielt auch die FDP mit: Weil sie ihre Ideen für Digitalisierung und Entbürokratisierung durchgesetzt hat, weil die Verhandlungen trotz eines Wahlergebnisses von lediglich 6,4 Prozent auf Augenhöhe erfolgten, weil der „ministerielle Zugriff auf den Landesentwicklungsplan“ garantiert wurde. Auch weil zehn Jahre außerparlamentarische Opposition und 15 Jahre ohne Regierungsbeteiligung dem liberalen Gestaltungswillen nicht gutgetan haben. Und vor allem wohl um eine weitere Regierungsbeteiligung der Grünen in Sachsen-Anhalt zu verhindern, haben die 102 Delegierten eines extra angesetzten Landesparteitages der Liberalen mit 98 Prozent dem von der Parteispitze ausgehandelten Koalitionsvertrag mit CDU und SPD zugestimmt.

Zuvor hatten bereits die beiden anderen künftigen Koalitionäre für Schwarz-Rot-Gelb abstimmen lassen. Die Christdemokraten, die überraschend 37,1 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl erzielt hatten, befragten darüber erstmals ihre Mitglieder. Zwar beteiligte sich gerade einmal ein Drittel, aber immerhin 92,1 Prozent von denen gab ein positives Votum ab. Bei den Sozialdemokraten, für die lediglich 8,4 Prozent der Wähler in Sachsen-Anhalt stimmten, beteiligten sich 60,4 Prozent der 3.300 Genossen – und von diesen äußerten sich knapp zwei Drittel positiv. Schließlich habe man viele sozialdemokratische Themen im Koalitionsvertrag plazieren können, versicherte die SPD-Co-Landesvorsitzende Juliane Kleemann.

Nachdem am Montag die 157 Seiten unterzeichnet wurden, kann Reiner Haseloff (CDU) an diesem Donnerstag – mehr als drei Monate nach der Landtagswahl – seine dritte Legislaturperiode als Ministerpräsident beginnen.
Die Regierungskoalition wird über 56 von 97 Sitzen im Magdeburger Parlament verfügen und könnte sich gleich als erstes mit einer Klage beschäftigen: Drei Aktivisten aus dem Umfeld der „Fridays for future“-Bewegung werfen Sachsen-Anhalt vor, gegen das Pariser Klimaabkommen zu verstoßen, weil es keinen verbindlichen, gesetzlichen Klimaschutz auf Landesebene geschaffen habe. Mit Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe konnten die teilweise Minderjährigen eine Verfassungsbeschwerde einreichen lassen. Haseloff kann sich aber auch Zeit lassen und abwarten, wie die eingespielte Regierung des benachbarten Sachsen, in dem die Grünen mit im Kabinett sitzen, oder die anderer Bundesländer reagieren, gegen die die Klimaschützer ebenfalls klagen.

Die Deutschland-Koalition ist die erste in einem Bundesland seit 62 Jahren und könnte auch ein spannendes Modell für den Bund sein. Sachsen-Anhalts Politiker könnten damit für sich in Anspruch nehmen, das Land mit den politischen Innovationen zu sein. Denn bisher regierte in Magdeburg deutschlandweit die erste Koalition aus CDU, SPD und Grünen, die die Wähler offenbar für nicht sehr überzeugend hielten. Das ausgehandelte Koalitionspapier bezeichnete Haseloff als den „spannendsten Vertrag in meinem politischen Leben“. Wenn die Regierungsarbeit so gut laufe wie die Koalitionsverhandlungen, würde „es viel Spaß machen in dieser Deutschland-Koalition“.