© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Linas Kampf
Prozeß: In Dresden steht eine linksextreme Rädelsführerin vor Gericht
Paul Leonhard

Die Studentin Lina E. soll eine kriminelle Bande gegründet haben und mit dieser Andersdenkende gezielt ausgespäht und dann zusammengeschlagen haben. So der gravierendste Tatvorwurf gegen die Frau aus Leipzig-Connewitz, einem für seine gewaltbereite linksextremistische Szene bekannten Stadtteil. Der Prozeß, der vergangene Woche begonnen hat, findet in einer speziell gesicherten Außenstelle des Oberlandesgerichts Dresden statt.

Zwar sind die Sicherheitsmaßnahmen vor allem den Protesten und Solidaritätsbekundungen der gewaltbereiten Antifa zu verdanken, die Verteidigung wirft der Bundesstaatsanwaltschaft aber vor, die Angeklagten so in die Nähe von Terroristen zu rücken. Noch schweigen Lina E. und die mit-angeklagten Lennart A., Jannis R. und Jonathan M. zu den Tatvorwürfen. Ganz offenbar will die Verteidigung abwarten, inwieweit sich die von der Anklage aufgebotenen Zeugen tatsächlich an die Vorkommnisse zwischen August 2018 und vergangenem November erinnern können oder wollen.

Denn die gewaltbereite Antifa und ihre Symphathisanten verfolgen den Prozeß. Vor dem Gerichtsgebäude stehen sie mit Transparenten, auf denen gegen eine „Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands“ protestiert wird. Auf verteilten Texten wird betont, daß „konsequenter Antifaschismus kein Verbrechen, sondern legitim und notwendig“ sei.
Unter „konsequentem Antifaschismus“ verstehen die aus Leipzig-Connewitz Angereisten und ihre Dresdner Unterstützer offenbar die Taten, die der 26jährigen Pädagogik-Studentin und ihren drei Mitangeklagten im Alter zwischen 26 und 36 Jahren zur Last gelegt werden: Bildung einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in einem Fall, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in vier Fällen, besonders schwerer Landfriedensbruch, räuberischer Diebstahl, Sachbeschädigung und Urkundenfälschung. Immer wieder betonten die Unterstützer der Angeklagten, daß es sich bei den Opfern doch um Neonazi-Kader oder Rechtsextremisten gehandelt habe, gegen die vorgegangen werden müsse.

In mehreren Fällen wurden die Opfer absichtlich so schwer verletzt, daß sie nur mit viel Glück den Überfall überlebten. Von der Brutalität der Täter waren sogar die Ermittler erschüttert. Mit den Taten hatte die offenbar von Leipzig-Connewitz aus gesteuerte linksextremistische Gewalt eine neue Qualität erreicht: Von der Sachbeschädigung war man zu gezielten Angriffen auf Menschen übergegangen. Nach den Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft wurden bei acht verschiedenen Überfällen insgesamt 13 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Bei wenigstens zwei Fällen soll Lina E. das Kommando geführt haben.

So wurde im Oktober 2018 ein Mann im sächsischen Wurzen von fünf Tätern mit Fäusten und Teleskopschlagstöcken zusammengeschlagen und noch am Boden liegend gewürgt. Zu einer weiteren Attacke kam es im Januar 2019, als in Connewitz von fünf Angreifern eine Person zu Boden geschlagen und mit Tritten und Schlagwerkzeugen gegen den Kopf lebensgefährlich verletzt wurde. Lina E. soll daran aktiv beteiligt gewesen sein und überdies andere Menschen mit Reizgas davon abgehalten haben, dem Opfer zu Hilfe zu eilen.

Im Oktober 2019 sollen E. und weitere zehn bis 15 Linksextremisten das als Treffpunkt der rechten Szene geltende Restaurant „Bull’s Eye“ in Eisenach in Thüringen überfallen und den Wirt sowie fünf weitere Gäste mittels Schlagstöcken, Reizstoffsprühgeräten und Fäusten attackiert haben. Bei einem zweiten Überfall auf den Gastwirt wurde das Opfer mittels Reizgas außer Gefecht gesetzt und von mindestens sieben Personen mit Schlagstöcken, Hammer, Radschlüssel und Stangen bearbeitet.

Mit Gewalt politische Überzeugungen durchsetzen

Laut Anklage überfielen E. und weitere 15 bis 20 Extremisten im Februar 2020 sechs Personen im Bahnhof Wurzen. Auch hier wurden die bereits am Boden liegenden Opfer mit Schlagstock- und Faustschlägen sowie Tritten gegen die Köpfe schwer verletzt. Weitere Überfalle waren geplant, konnten aber wegen Polizeimaßnahmen nicht ausgeführt werden.
Anderthalb Stunden benötigte die Bundesanwaltschaft, um die Tatvorwürfe zu verlesen. Die Angeklagten würden den demokratischen Rechtsstaat, das staatliche Gewaltmonopol sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung ablehnen. Die Gruppe habe eine gemeinsame linksextremistische Ideologie. Die Angeklagte, die als treibende Kraft der Gruppe gilt, war im November in Leipzig festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft hatte im Mai Klage erhoben, der Prozeß wird voraussichtlich bis Ende März 2022 dauern.

Die sächsische Polizei ist in Leipzig und Dresden in Alarmbereitschaft versetzt, da Anschläge und Krawalle befürchtet werden. Besonders für den 18. September werden Ausschreitungen erwartet, wenn die Antifa aus ganz Deutschland zu einer Protestveranstaltung unter dem Motto „Wir sind alle LinX“ anreisen will. Mit bis zu 5.000 Linksextremisten, darunter Hunderte gewaltbereite, rechnet der Staatsschutz. Besonders gefürchtet sind dabei die „erlebnisorientierten Autonomen“ aus Hamburg und Berlin. Sie vertreten ähnlich wie die Angeklagten die Auffassung, daß sie das Recht haben, mit Gewalt ihre eigenen politischen Überzeugungen durchzusetzen.