© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Neunzehn, sieben, zwei
Corona: Bund und Länder setzen neue Regeln im Umgang mit der Pandemie / Heftige Kritik an Ausschluß von Ungeimpften
Peter Möller

Kommt sie oder kommt sie nicht? Und wenn ja: Werden sich die Intensivstationen wieder mit schwerkranken Corona-Patienten füllen? Seit Wochen beobachten Journalisten, Gesundheitspolitiker und Epidemiologen jede Veränderung der Statistik des Robert-Koch-Instituts zu den Corona-Infektionen in Deutschland, um abzuschätzen, was dem Land mit der erwarteten vierten Welle bevorsteht. Eins steht dabei bereits jetzt fest: Die Diskussion der kommenden Monate wird nicht mehr wie in der Vergangenheit allein von den Inzidenzwerten geprägt sein.

In der vergangenen Woche beschloß der Bundestag auf seiner Sondersitzung, daß künftig vor allem anhand der Zahl der Menschen je 100.000 Einwohner, die innerhalb von sieben Tagen aufgrund ihrer Infektion ins Krankenhaus eingeliefert werden (sogenannte Hospitalisierungsrate), darüber entschieden wird, welche Corona-Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in der Öffentlichkeit greifen. Möglich gemacht hat dies eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, die vorsieht, weitere Indikatoren bei der Bewertung zu berücksichtigen, „wie die unter infektionsepidemiologischen Aspekten differenzierte Anzahl der Neuinfektionen“, die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten und die Anzahl der geimpften Menschen.  Während diese Erweiterung der Indikatoren allgemein auf Zustimmung trifft, stieß die ebenfalls vom Bundestag beschlossene Auskunftspflicht über den Impfstatus von Arbeitnehmern in bestimmten Berufen auf teilweise scharfe Kritik.

Kinder weiterhin mehrmals die Woche testen

Unterdessen ist die sogenannte 2G-Regel, nach der nur Geimpfte oder Genesene an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen oder „kontaktintensive Dienstleistungen“ wie Restaurants und Kinos oder Fitneßstudios nutzen dürfen, in immer mehr Bundesländern auf dem Vormarsch. In Hamburg gilt diese Regelung bereits seit Ende August, für diese Woche hat nun die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg eine neue Corona-Verordnung angekündigt, in der die 2G-Regelung für die meisten Bereiche des öffentlichen Lebens vorgesehen ist. Wird künftig die 7-Tage-Hospitalisierungsrate von 12,0 oder die Zahl von 390 Covid-19-Fällen auf den Intensivstationen überschritten, greift die 2G-Regel. Dann haben ungeimpfte Personen nur noch Zugang zu Geschäften des täglichen Bedarfs wie dem Lebensmitteleinzelhandel oder Tankstellen. Ähnliche Pläne gibt es derzeit unter anderem auch in Niedersachsen und Hessen.

Auch wenn die politisch Verantwortlichen argumentieren, mit der 2G-Regel könne ein neuerlicher Lockdown verhindert werden, kommen aus der Wirtschaft kritische Stimmen: „Für uns ist nicht nachvollziehbar, weshalb kürzlich negativ Getestete nun anders als Geimpfte und Genesene behandelt werden sollten. Zudem befürchten wir einen Flickenteppich an Regelungen, der kaum zu überschauen ist“, sagte der Geschäftsführer des Hessischen Industrie- und Handelskammertags, Robert Lippmann, der dpa. Aber auch aus der Politik kommen skeptische Stimmen. So äußerte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) Zweifel, ob die 2G-Regel flächendeckend umsetzbar sei. Für den öffentlichen Raum lasse sich die Regelung allein deswegen nicht umsetzen, weil dann Kinder und Jugendliche benachteiligt würden, sagte Müller. Vor allem Familien mit kleinen Kindern, die sich noch gar nicht gegen das Coronavirus impfen lassen können, würden mit den Erleichterungen nur für Geimpfte und Genesene etwa von Veranstaltungen ausgeschlossen.

Seit dem Ende der Sommerferien rücken auch die Schulen zunehmend wieder in den Fokus der Corona-Politik. Obwohl Bildungspolitiker immer wieder versichern, daß es auch bei einer vierten Corona-Welle keine wesentliche Beeinträchtigung des Schulbetriebes, etwa durch Wechselunterricht, geben wird, sind viele Eltern skeptisch. Nach wie vor gelten in den Schulen je nach Bundesland unterschiedliche Schutzmaßnahmen, wie etwa eine Maskenpflicht im Unterricht. Zudem müssen sich die Kinder und Jugendlichen in der Regel mehrmals die Woche testen lassen.

Eine Lockerung gibt es dagegen bei den Quarantäneregeln: statt wie bislang üblich ganze Klassen bei einem Corona-Fall nach Hause zu schicken, werden vermehrt nur noch die betroffenen Schüler in Quarantäne geschickt.